Das Phantom im Opernhaus
Erzähl mir nicht, dass ihr Blond noch echt ist.«
»Aber das ist doch vollkommen gleichgültig!«, begehrte Paul auf.
»Wie sieht es denn mit Enkelkindern aus?«, brummte Hermann, den Blick noch immer fest auf den Fernseher geheftet.
»Wir haben noch nicht darüber entschieden«, antwortete Paul ausweichend. »Wir wollen es langsam angehen lassen.«
»Ist das nicht ein großes Risiko?«, erkundigte sich sein Vater. »Über Spätgebärende hört man ja nicht viel Gutes.«
»Das lass mal unsere Sorge sein, Hermann«, tat Paul den Einwand ab.
»Nein, nein. Vati hat recht«, meinte Hertha. »Nehmt das nicht auf die leichte Schulter. Ein Kind ist eine echte Herausforderung und bleibt es ein Leben lang. Ich weiß, wovon ich spreche.«
»Lasst uns doch bitte erst einmal heiraten«, schlug Paul reichlich genervt vor. »Alles andere ergibt sich.«
Doch er hätte es besser wissen müssen. Denn Hertha gab den Faden nicht so schnell wieder aus der Hand. Das Thema Hochzeit war noch längst nicht ausgereizt, und da waren viele heikle Punkte, über die sie mit ihrem Sohn sprechen musste. Die Gästeliste zum Beispiel: Wer sollte eingeladen werden, welche Familie kam auf eine höhere Kopfzahl? Und wie stand es mit dem Hochzeitskleid und Pauls Anzug? Hatte er sich schon nach dem geeigneten Zwirn erkundigt?
Die schwarze Pudeldame Bella, die es sich unter dem Sofatisch gemütlich gemacht hatte, spürte die gespannte Atmosphäre und trollte sich in den Garten. Paul tat es ihr nach, erhob sich und ging nach draußen auf die Hollywoodschaukel. Hertha folgte ihm plappernd auf dem Fuß.
Während Paul ihr mit halbem Ohr zuhörte, registrierte er das Vibrieren seines Handys. Er nahm es zur Hand und sah, dass er eine SMS bekommen hatte: Jasmin erkundigte sich nach seinem Befinden. Er schaffte es trotz der Dauerbeschallung durch seine Mutter, eine Antwort einzutippen:
»Ging mir schon besser. Bin daheim bei Eltern. Werden immer anstrengender. Und bei dir? Was Neues über die Morde?«
Während Paul fürs Verfassen dieser Antwort fast drei Minuten benötigte, lief es bei Jasmin weitaus flotter: »Komme vom Volleyballtraining. Bin fit und gut drauf«, konnte Paul keine 30 Sekunden später lesen. Kurz darauf folgte eine weitere Nachricht: »Ascherl wurde heute Mittag vernommen, Haas gerade eben. Beide wieder auf freiem Fuß.«
»Weil unschuldig?«, tippte Paul in die kleine Tastatur.
»Kein hinreichender Tatverdacht, keine Fluchtgefahr«, lautete die Antwort.
Plötzlich und völlig unerwartet spürte Paul Herthas warme, feuchte Lippen auf seiner Wange. Sie hatte ihm einen dicken Kuss verpasst!
»Bah!«, stieß Paul aus. »Mutti, was soll das?«
Wonnevoll sah Hertha ihn an. »Ich finde es so süß von dir, dass du meine Vorschläge gleich an deine Katinka weitergibst.
Schreib bitte schöne Grüße von mir in dein Telefon!«
Die 24 Kilometer lange Autofahrt vom idyllisch gelegenen Holzhaus seiner Eltern am Herzogenauracher Stadtrand bis ins Nürnberger Burgviertel nahm Paul kaum wahr. Er war abgelenkt, voll und ganz beschäftigt mit der Frage, wie es in der Opernhausermittlung weitergehen sollte. Auch wenn die polizeilichen Befragungen von Haas und Ascherl noch zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt hatten, wusste die Kripo immerhin, an wen sie sich halten konnte. Jetzt war Hartnäckigkeit gefragt, um einen der beiden Kandidaten doch noch zu überführen.
Als Paul zuhause ankam, ging er geradewegs zum Kühlschrank, um sich ein Bier herauszunehmen. Doch es war keines mehr da. »Auch das noch«, seufzte er griesgrämig. Im Atelier erwartete ihn der blinkende Anrufbeantworter. Zweimal hatte jemand versucht, ihn während seiner Abwesenheit zu erreichen. Paul setzte sich auf sein Sofa, drückte die Wiedergabetaste des Geräts und hörte zu:
Beim ersten Mal schien sich jemand verwählt zu haben. Paul vernahm nur ein leises Husten. Dann wurde aufgelegt, ohne dass eine Nachricht hinterlassen worden wäre. Da die Nummer des Anrufers unterdrückt wurde, hatte Paul keine Möglichkeit, die Quelle des Anrufs herauszufinden. Ganz anders beim zweiten Anruf: Wieder ein Husten und Atmen, diesmal aber viel deutlicher und ausgeprägter. Dann erfüllte Pfarrer Finks prägnantes Sprachorgan den Raum: »Ich muss dich sprechen, Paul. Komm am besten noch heute bei mir im Pfarrhaus vorbei. Wenn es möglich ist, bring Katinka mit.« Aus dem sorgenvollen Ernst seiner Stimme schloss Paul, dass Fink nicht um dieses Treffen bat, um
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