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Das Phantom im Opernhaus

Das Phantom im Opernhaus

Titel: Das Phantom im Opernhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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lehnte sich zurück und rieb sich die Augen. Abermals studierte er ausgiebig das Zeitungsbild. Nun war er sich sicher: Irgendetwas fehlte auf diesem Foto!
    Paul hatte trotz seines Berufs beileibe kein fotografisches Gedächtnis. Er war auch nie gut bei Memory-Spielen oder ähnlichen Geistesübungen gewesen. Dennoch wusste er jetzt bestimmt, dass ihm am Ort des Geschehens etwas aufgefallen war, das er nun auf diesem Zeitungsfoto vermisste. Er hatte es eilig, seinen Computer hochzufahren und die Datensätze der letzten Tage aufzurufen. Da waren sie: die Bilder, die er an Klingers Todestag vor Eintreffen der Polizei geschossen hatte. Er suchte die wenigen Aufnahmen in der Totalen. In Bildaufbau und Wirkung waren sie dem Zeitungsfoto sehr ähnlich, auch wenn der Tote zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit einer Decke verhüllt gewesen war. Der Hintergrund und die Bestandteile der Kulisse auf den Bildern der Zeitung glichen ebenfalls seinen eigenen aufs Haar. Doch er brauchte nicht lange, um das Detail zu finden, nach dem er mehr oder weniger unbewusst gesucht hatte, ohne es benennen zu können:
    Ein Schal, vielleicht auch ein Halstuch, lag ein Stück links vom Kopf des Toten. Auf Pauls Foto war das Tuch deutlich zu erkennen: Schmal geschnitten, dunkel, wahrscheinlich in einem Blauton, wand sich der dünne Stoff wie eine Schlange über den Boden.
    Auf dem Zeitungsfoto fehlte das Element. Paul fragte sich, ob die Kripo das Tuch bereits entfernt hatte, als dieses Bild entstanden war, und ob es überhaupt eine Rolle spielte. Auf jeden Fall würde er Katinka später darauf ansprechen.
    Fast im selben Moment machte sich sein Handy bemerkbar: eine SMS von Katinka. War das Gedankenübertragung?
    »Termin mit E.G. steht. Treffen um 11:30 in Praxis, Fürther Straße.«
     
    Paul traf beinahe zeitgleich mit Katinka vor dem schmucken Gründerzeitgebäude ein, das neben Arztpraxen auch die Büros einiger Rechtsanwälte und das eines Steuerberaters beherbergte. Privatwohnungen gab es in diesem Haus offenbar nicht. Ebenso wenig wie einen Fahrstuhl, bemerkte Paul, als er an Katinkas Seite die bei jedem Schritt ächzenden Holzstufen bis zu Evelyn Glossners Praxis im fünften Stock hinaufstieg.
    Der Empfangsbereich zeigte sich hell, freundlich und offen gestaltet, gleichzeitig verhieß die massive und durch eine Sicherheitsschließanlage geschützte Eingangstür, dass die vertraulichen Daten der Patienten hier gut behütet und vor fremdem Zugriff geschützt waren. Paul und Katinka brachten ihr Anliegen vor und wurden von einer sympathischen Assistentin ins Wartezimmer geführt.
    Während Katinka sich gleich setzte und gewohnheitsmäßig nach einer Zeitschrift griff, um sich die Wartezeit zu verkürzen, sah sich Paul interessiert um. Auch dieser quadratische Raum war geschmackvoll und ansprechend eingerichtet. Es gab Grünpflanzen sowie eine kleine Spielecke für Kinder, und die Fenster zierten Vorhänge in zarten Pastelltönen. Paul richtete seine Aufmerksamkeit auf die Wände, an denen zahlreiche gerahmte Fotos hingen: durchweg Bühnenfotos von Aufführungen des Nürnberger Opernhauses, klassische Inszenierungen in Schwarzweißaufnahmen ebenso wie Impressionen neuerer Stücke. Paul schmunzelte, denn mit dieser Galerie bewies Evelyn Glossner, dass ihr Wirken bei den Städtischen Bühnen nicht nur rein beruflicher Natur war, sondern wohl auch eine Herzensangelegenheit.
    »Frau Blohm, Herr Flemming?«, rief die Assistentin sie wenig später auf. »Frau Glossner kann Sie jetzt empfangen. Bitte folgen Sie mir.«
    Beide begleiteten die Sprechstundenhilfe in ein Sprechzimmer, das das genaue Gegenteil von dem war, wie sich Paul die Wirkungsstätte Sigmund Freuds vorstellte. Alles war genauso luftig und leicht eingerichtet wie die ganze Praxis, mit einem zierlichen weißen Schreibtisch und liebenswert altmodischen Stühlen. Immerhin erspähte Paul die obligatorische Liege, auf der sich die Patienten ausstrecken und sich ihren Kummer von der Seele reden konnten.
    »Es freut mich, Sie hier begrüßen zu dürfen.« Die mollige Psychologin kam mit sonnigem Lächeln auf sie zu und führte sie zu einer kleinen Sitzecke. Auf einem Tischchen standen Getränke und eine Schale mit Keksen. »Was verschafft mir denn die Ehre?«
    »Zunächst einmal möchte ich feststellen: Ich bin nicht in meiner Funktion als Oberstaatsanwältin hier«, klärte Katinka gleich die Fronten.
    »Ich habe sie überredet«, ergänzte Paul in schmeichelndem Tonfall. »In fast jedem

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