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Das Phantom im Opernhaus

Das Phantom im Opernhaus

Titel: Das Phantom im Opernhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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sie, »denn sie kann einem nur leid tun. Ihr wurde oft unrecht getan, man hat sie zeitlebens ausgenutzt und verletzt.« Dennoch enthielt sie ihren beiden Zuhörern die wesentlichen Informationen nicht vor: »Dass Irena ein Alkoholproblem hat, ist Ihnen sicher nicht entgangen. Aber Sie wissen vielleicht nicht, dass sie auch Tabletten nimmt. Daran bin ich nicht ganz unschuldig. Mir ist zwar bewusst, dass es bei gleichzeitiger Einnahme von Medikamenten und Alkoholika zu ernsthaften, ja sogar gefährlichen Nebenwirkungen kommen kann. Doch ich darf nicht darauf verzichten, ihr diese Medizin zu verschreiben.«
    »Sprechen wir über Antidepressiva?«, tippte Katinka.
    Evelyn Glossner bestätigte das. »Irena neigt zu depressiven Wahnvorstellungen. Sie hat deswegen schon mehrere Wochen in einer psychiatrischen Klinik verbracht – offiziell haben wir das als Kur getarnt. Wirklich geholfen hat ihr diese Therapie aber leider nicht. Irena bleibt auf ihre Medikamente angewiesen, wenn sie ein einigermaßen normales und angstfreies Leben führen will.«
    »Können Sie sich vorstellen, dass die Mischung aus diesen Tabletten und dem Alkohol bei ihr zu extremen Überreaktionen führt?«, fragte Paul.
    »Ich ahne, auf was Sie hinauswollen. Aber diese Deutung ist spekulativ und unwissenschaftlich«, sagte die Psychologin ernst. »Irena ist im tiefsten Inneren ein sanftmütiges und harmoniebedürftiges Individuum. Gewalt gegen andere liegt ihr vollkommen fern.«
    »Aber bestehen wir denn nicht alle aus einem Wust von Widersprüchen? Steckt nicht in jedem von uns auch die Bestie Mensch, die kaum zu bändigen ist, wenn sie gereizt und losgelassen wird?«, spitzte Katinka zu.
    »Das ist eine überaus simple und plakative Vereinfachung von komplizierten Mechanismen«, rügte Evelyn Glossner sie. »Ich verstehe ja Ihr Anliegen, und glauben Sie mir, ich habe vollstes Verständnis für Ihre Aufgabe, aber ich kann Ihnen wohl nichts erzählen, was Ihnen den Fall zu lösen hilft.«
    »Können Sie nicht oder wollen Sie nicht?«, fuhr Katinka die harte Tour.
    Doch damit biss sie bei der routinierten Therapeutin auf Granit: »Das zu beurteilen überlasse ich Ihnen. Aber unterstellen Sie mir nicht, dass ich Ihre Ermittlungen behindern möchte. Irena und ich arbeiten an einem Trauma, das in höchstem Grad verworren ist und wohl schon in ihrer Kindheit begründet liegt. Diese Dinge stehen in keiner Verbindung mit dem Tod dieser zwei Männer, die nicht im Geringsten mit den Ursachen ihrer seelischen Not zu tun hatten, sondern sie allerhöchstens begünstigten. Die Wurzeln ihrer Ängste und Unsicherheiten liegen woanders, das versichere ich Ihnen.«
    »Meinen Sie nicht, Sie sollten solche Beurteilungen besser mir oder den ermittelnden Kripobeamten überlassen?«, fragte Katinka.
    Ein sanfter Zug trat in das weiche Gesicht der Psychologin, als sie einen neuen Erklärungsversuch unternahm: »Hören Sie, Frau Blohm, Sie denken vielleicht, dass ich nicht sehr mitteilsam bin. Das ist Ihr gutes Recht. In meinem Beruf wird man in die tiefsten Geheimnisse unterschiedlichster Menschen eingeweiht und gewöhnt sich daran, sie für sich zu behalten. Sie suchen nach Fakten? Ich habe keine. Selbst wenn ich Ihnen all die kleinen Details erzählen würde, die ich während meiner Sitzungen mit Irena erfahren habe, würde Ihnen das nicht weiterhelfen. Ich bewege mich in einer Welt der Schatten, der Träume und Albträume, der Zeichen und Symbole. Die Gefühle meiner Patienten sind die einzige Wahrheit, auf die ich bauen kann und mit der ich zurechtkommen muss. Und ich habe Ihnen bereits ganz ehrlich gesagt, dass ich Irena nicht verdächtige, irgendetwas mit diesen schrecklichen Taten zu tun zu haben. Wenn Sie mehr wissen wollen, versuchen Sie, mit ihr selbst zu sprechen.«
    »Doch ganz von der Hand weisen würden Sie es nicht, oder?«, versuchte Paul sie festzunageln.
    »Nein«, antwortete Evelyn Glossner nach längerem Zögern. Leise und bekümmert fügte sie hinzu: »Irena ist mit ihren Nerven am Ende und innerlich völlig zerrüttet. Auch ohne die tragischen Ereignisse der letzten Tage stand ich kurz davor, sie zu einem weiteren Klinikaufenthalt zu überreden. Vielleicht habe ich den richtigen Moment dafür bereits verpasst.«
     
    Am Abend saß Paul mit sehr gemischten Gefühlen vor seinem Computer. Zum einen plagte ihn das schlechte Gewissen, weil sie Evelyn Glossner so viel Druck gemacht und sie damit zur Preisgabe vertraulicher Informationen genötigt hatten.
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