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Das Phantom im Opernhaus

Das Phantom im Opernhaus

Titel: Das Phantom im Opernhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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Probebühne 2, vertieft in einen Klavierauszug auf ihren Knien. Ihr schmaler Körper wirkte kraftlos, ihr Haar war schlecht gekämmt, das Gesicht ungeschminkt und blass.
    Paul hustete in seine Faust, um auf sich aufmerksam zu machen. Prompt blickte Irena auf und sah ihn abweisend an. »Die nächste Fotoprobe ist erst für den Nachmittag angesetzt. Sie haben heute Morgen frei, hat Ihnen das Haas nicht gesagt?«, fragte sie in angriffslustigem Ton.
    Paul kam langsam näher und schaute sie gewinnend an. »Doch, doch. Ich weiß Bescheid. Ich bin in meiner Freizeit hier, quasi privat.«
    Irenas Augenbrauen zogen sich argwöhnisch zusammen. »Für meine Fans stehe ich nur abends nach der Aufführung zur Verfügung.«
    »Ach, Irena.« Paul seufzte. »Machen Sie es mir doch nicht so schwer. Ich möchte nur, dass Sie nicht mehr sauer auf mich sind. Darf ich?«, fragte er und ließ sich neben ihr nieder. Irena gestattete dies mit einem Schulterzucken. Paul deutete auf ihren Klavierauszug und sagte: »Den Alltag einer Sopranistin stelle ich mir schwierig vor. Sie müssen sich dauernd auf andere Rollen einlassen, ständig neue Stücke einstudieren, immer neue Charaktere darstellen. Manchmal sogar mehrere zugleich in einer Spielzeit. Wie schaffen Sie das?«
    Irena taxierte ihn ausgiebig und noch immer nicht freundlich. »Erst einmal bin ich Mezzosopran, da muss man schon genau sein und unterscheiden können.«
    »Entschuldigung.« Paul ärgerte sich über seinen Lapsus, aber er hatte es nicht besser gewusst.
    »Schon gut. Das passiert vielen. Und um auf Ihre eigentliche Frage zu antworten: Ja, sicher ist das schwer. Vor allem, wenn man seine Sache ernst nimmt. Diese unentwegte Verwandlung, schauspielerisch und musikalisch, die ganze Bandbreite zwischen übersprudelnden Koloraturen und Lamento, zwischen Virtuosität und Melancholie verlangt einem viel ab.« Sie ließ ein winziges Lächeln erkennen. »Aber ich liebe es, das gesamte Repertoire zu singen, rauf und runter. Ich bin eine Verwandlungskünstlerin.«
    »Wie lange üben Sie denn, bis Sie mit einer Rolle richtig zufrieden sind?«
    »Das nimmt kein Ende. Ich bin eine Musiksüchtige. Eigentlich übe ich ständig. Ich mache da keinen Unterschied zwischen Arbeits- und Freizeit.«
    »Dann trällern Sie auch in der Badewanne?«, wagte Paul einen Scherz und entlockte Irena ein Schmunzeln.
    »Nein, nur unter der Dusche. Ich habe keine Wanne in meinem Appartement.«
    »Aber unbestreitbar eine wunderbare Stimme«, schmeichelte ihr Paul. »Empfinden Sie Ihre Stimme als ein Geschenk?«
    »Eine nette Frage. Die hat mir noch niemand gestellt.« Sie zögerte kurz, lächelte erneut und sagte dann voller Überzeugung: »Selbstverständlich fühle ich mich beschenkt! Die Stimme ist doch eine mysteriöse Gabe. Man sieht sie nicht, sie ist so flexibel und so intim. Stellen Sie sich einmal diese beiden kleinen, zarten Fäden vor, die man Stimmbänder nennt: was für ein Wunder! Aber es gibt viele Sänger, die über ein wunderbares Material verfügen und dann doch nichts daraus machen. Daher empfinde ich es als das größte Geschenk, dass ich auch die nötige Leidenschaft in mir trage.«
    »Eine Leidenschaft, die Ihnen auch den Ruf einer echten Diva beschert hat. Fühlen Sie sich nicht manchmal zerrissen zwischen Ihrer öffentlichen Rolle und Ihrer privaten?«
    Ein leiser Anflug neu aufkeimenden Argwohns mischte sich in ihre Antwort: »Alles dreht sich doch darum, die richtige Balance im Leben zu finden. Das ist für jeden schwierig: für einen Anwalt, einen Arzt, einen Fotografen und eben auch für eine Diva, nicht wahr? Ich weiß, dass ich mein privates Leben privat halten muss, um meine Batterien wieder aufzuladen. Das ist der Weg, der für mich bisher recht gut funktioniert hat.«
    Bedeutete das auch, die Demütigung des Betrugs durch ihren Lebensgefährten still zu ertragen und bloß nichts der Öffentlichkeit preiszugeben, fragte sich Paul. Die bewusste Verleugnung von Baumanns Seitensprüngen? Das konnte er ihr unmöglich unter die Nase reiben und wählte daher einen Umweg: »Die vielen Rollen und die Maskeraden – steckt dahinter nicht auch ein Wunsch nach Selbstschutz? Bieten sie Ihnen die Möglichkeit, sich auszudrücken, ohne sich als Person ganz offenbaren zu müssen?«
    »Wenn ich auf der Bühne stehe, bin ich zu 100 Prozent das, was ich dort verkörpere. Es gibt für mich keinen anderen Weg als den, in den Leidenschaften der Musik voll und ganz aufzugehen.«
    »So wie auch als

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