Das Phantom im Opernhaus
Augenblicklich legte sich wieder der feine Schleier über ihre Augen und verhüllte, was nun in ihrem Kopf vor sich ging. Sie tat sich nicht leicht damit, Paul über die nächsten von ihr geplanten Schritte zu unterrichten: »Dein Foto und die Aussage der Mutter sind wichtige neue Indizien«, sagte sie und klang gequält. »Aber mit Indizien allein komme ich nicht weiter. Ich habe nichts Konkretes, nichts Greifbares in der Hand gegen Irena – genauso wenig wie gegen einen der anderen, die unter Verdacht stehen.«
Paul nahm das mit gewisser Erleichterung zur Kenntnis. Noch hatte Irena also eine Chance, sich reinzuwaschen und ihr verkorkstes Leben in den Griff zu bekommen. Er erkundigte sich: »Mit den anderen Verdächtigen meinst du nach wie vor Haas und Ascherl …«
Katinka fuhr plötzlich auf. »Sprich diesen Namen bloß nicht mehr laut in der Öffentlichkeit aus! Ich stehe unter enormem Druck wegen dieses Kerls. Nachdem er zum Verhör bei der Kripo einbestellt worden war, ließ er all seine Beziehungen spielen. Der Generalstaatsanwalt hat mich gefragt, was das denn solle: So kurz vor dem Opernball ausgerechnet auf den Hauptsponsor, den honorigen Ehrenbürger Eduard Ascherl loszugehen und gegen ihn zu ermitteln. Du musst wissen: Mein Chef und seine Frau haben von Ascherl einen Logenplatz für den Ball bekommen …«
»Aber das ist Bestechung und, und …« Paul suchte nach dem geeigneten Wort. »… und Rechtsbeugung!«, ereiferte er sich.
»Es kommt darauf an, auf wessen Seite das Recht steht«, entgegnete Katinka. »Inzwischen haben wir nämlich herausbekommen, dass sich Ascherl nicht nur zum Zeitpunkt der beiden Mordfälle in Opernhausnähe aufgehalten hat, sondern auch an allen anderen Tagen zu dieser Zeit. Ascherl ist nun mal leidenschaftlicher Opernfan. Er stattet seinem persönlichen Musentempel wirklich bei jeder sich bietenden Gelegenheit einen Besuch ab oder streift um das Gebäude. Es kann also reiner Zufall sein, dass er auch zur Zeit der Morde in der Nähe zu sehen war.«
»Oh …«, sagte Paul und war ziemlich ratlos. »Dann bleibt neben Irena – und vielleicht noch meinem speziellen Freund Glück – derzeit eigentlich nur Ricky Haas als möglicher Täter übrig«, dachte er laut und erinnerte sich mit Unbehagen an das belauschte Streitgespräch des Paares.
»Ich darf mich in meinen Ermittlungen nicht zu früh auf eine bestimmte Person konzentrieren«, erklärte Katinka und kritisierte damit selbst ihr zwischendurch doch sehr forsches Vorgehen gegen Irena. »Die Kripo ist immer noch dran, die Tatortspuren zu analysieren. Die Kollegen hoffen nach wie vor auf aussagekräftige Faserreste, die nicht verunreinigt sind.« Sie neigte den Kopf: »Das Halstuch ist in dieser Hinsicht zwar wichtig – es könnte aber auch von jemandem zur bewussten Irreführung neben dem Toten drapiert worden sein.«
Paul sah sie überrascht an: »Drapiert sagst du? Aber warum hat dieser Jemand es dann später wieder weggenommen? Das ergibt doch keinerlei Sinn!«
»Vieles ergibt in diesen Fällen keinen Sinn. Zumindest ist es zu früh für uns, um einen Sinn zu erkennen.«
»Wie willst du, beziehungsweise wie will die Kripo weiter vorgehen?«
Katinka nagte an ihrer Unterlippe, bevor sie antwortete: »Wir versuchen, bestehende Verdachtsmomente zu erhärten und ermitteln gleichzeitig weiter in alle Richtungen. Auch und gerade, was die Symbolik der Tatorte inmitten der Opernkulissen anbelangt.«
»Das klingt nicht nach einem schnellen Abschluss des Falls.«
»Nein, ganz sicher nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Verdächtige Nummer eins auf ihre Hauptrolle beim Opernball vorbereiten muss und ich sie dabei möglichst wenig behelligen soll.«
Paul war über diese Schonfrist für Irena zwar einerseits erleichtert, andererseits plagten ihn große Bedenken, denn vielleicht täuschte er sich ja in ihr. »Könnt ihr es denn verantworten, eine potenzielle Straftäterin frei herumlaufen zu lassen?«, spitzte er zu.
Katinka lächelte jovial: »Das allein, mein lieber Paul, wäre weder abwegig noch unüblich. Denk an die Sängerin von den No Angels, die sie nach ihrem Konzert quasi von der Bühne weg verhaftet haben. Oder an den Wettermann, der erst noch die Vorhersagen für die Olympischen Winterspiele zu Ende moderieren durfte, bevor die Handschellen zuschnappten. Die Staatsgewalt kann durchaus rücksichtsvoll und flexibel vorgehen, wenn es die Umstände erfordern.«
»Und der Opernball ist ein solcher
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