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Das Phantom von Manhattan - Roman

Titel: Das Phantom von Manhattan - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth Wulf Bergner
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gewesen waren. Der erste war mysteriös und wurde nur von wenigen bemerkt; der zweite rief amüsiertes Gelächter hervor.
    Aus irgendeinem Grund schweifte mein Blick während ihrer Ansprache von dem Podium unter mir ab, und ich entdeckte auf dem Dach eines großen Lagerhauses genau gegenüber eine seltsame Gestalt. Dort stand unbeweglich ein Mann, der auf die Szenerie auf der Pier hinunterstarrte. Er trug einen breitkrempigen Hut und war ansonsten in einen weiten Umhang gehüllt, der im Wind um seinen Körper flatterte. Diese einsame Gestalt, die sich hoch über uns befand und auf die Lady aus Frankreich hinabblickte, während sie sprach, hatte etwas Eigentümliches und vage Bedrohliches an sich. Wie war der Mann ungesehen dort hinaufgekommen? Was tat er dort oben? Warum stand er nicht in der übrigen Menge?
    Ich stellte mein Fernglas scharf; er muß das Sonnenlicht auf den Objektiven blitzen gesehen haben, denn er hob ruckartig den Kopf und starrte mich geradewegs an. Dabei sah ich, daß er vor dem Gesicht eine Maske trug, und hatte das Gefühl, er fixiere mich mit fast wütender Intensität einige Sekunden lang durch die Augenöffnungen. Ich hörte einzelne Rufe von Hafenarbeitern, die sich an den kalten Stahl der Kräne klammerten, und sah ausgestreckte Zeigefinger. Aber bis die Untenstehenden den Blick gehoben hatten, war er schon wieder verschwunden. Eben hatte er noch dagestanden, im nächsten Augenblick war das Dach leer. Es schien, als sei er nie dagewesen.

    Wenige Sekunden später wurde das leichte Unbehagen, das diese Erscheinung ausgelöst haben mochte, durch stürmischen Beifall und lautes Gelächter von unten zerstreut. Mme. de Chagny hatte das Podium verlassen und näherte sich der Equipage mit livriertem Kutscher, die Mr. Hammerstein für sie hatte vorfahren lassen. Der Oberbürgermeister und die Stadtväter folgten ihr mit wenigen Schritten Abstand. Alle konnten sehen, daß zwischen der Lady und ihrem Wagen, jenseits des roten Teppichs, eine große Pfütze mit Schneematsch lag - offensichtlich ein Überbleibsel des gestrigen Schneefalls.
    Feste Männerstiefel hätten damit kurzen Prozeß gemacht, aber das feine Schuhwerk einer französischen Aristokratin? Die Spitzen der New Yorker Stadtverwaltung machten halt und starrten dieses Hindernis betrübt, aber hilflos an. Dann sah ich einen jungen Mann über die Barriere des abgesperrten Pressebereichs springen. Er trug einen Wintermantel, hatte aber etwas über dem Arm, das sich bald als großes Abendcape herausstellen sollte. Dieses breitete er so schwungvoll aus, daß es den Schneematsch zwischen der Diva und der offenen Tür ihrer Equipage bedeckte. Die Lady schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, trat auf das Cape und saß zwei Sekunden später in ihrer Equipage, deren Schlag von dem Kutscher geschlossen wurde.
    Der junge Mann hob sein nasses und schmutziges Cape auf und wechselte einige Worte mit der Lady, deren Gesicht von dem offenen Fenster eingerahmt wurde, bevor der Zweispänner losfuhr. Oberbürgermeister
McClellan klopfte dem jungen Mann dankbar auf die Schulter, und als der edle Ritter sich abwandte, erkannte ich, daß er kein anderer als einer meiner jungen Kollegen von ebendieser Zeitung war.
    Ende gut, alles gut, wie die Redensart lautet, und der New Yorker Empfang für die Lady aus Paris hat sehr gut geendet. Jetzt ist sie bestens in der schönsten Suite im Waldorf-Astoria untergebracht und kann fünf Tage lang proben und ihre Stimme schonen, bevor sie am dritten Dezember ihr zweifellos triumphales Debüt im Manhattan Opera House feiert.
    Unterdessen, so vermute ich, wird ein bestimmter junger Kollege aus der Lokalredaktion jedem erklären, der es hören will, daß der Geist Sir Walter Raleighs keineswegs ausgestorben ist!

9
    DIE GROSSE CHANCE DES CHOLLY BLOOM
    Louie’s Bar, Fifth Avenue und 28th Street,
New York City, 29. November 1906
     
     
     
     
     
    H ab’ ich euch eigentlich schon mal gesagt, Jungs, daß man als Reporter in New York den großartigsten Job der Welt hat? Ja? Nun, entschuldigt bitte, aber ich werd’s noch mal sagen. Ihr müßt’s mir ohnehin nachsehen, weil ich einen ausgebe. Barney, können wir eine Runde Bier haben?
    Natürlich muß man dabei Spürsinn, Energie und grenzenlosen Einfallsreichtum haben, und deshalb behaupte ich, daß dieser Job alles bietet. Nehmen wir doch mal gestern. Ist jemand von euch gestern morgen an Pier 42 gewesen? Ihr hättet hingehen sollen. Was für ein Schauspiel, was für ein

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