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Das Phantom von Manhattan - Roman

Titel: Das Phantom von Manhattan - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth Wulf Bergner
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Boulevardblätter Hearsts. Er war sehr von sich selbst eingenommen und fungierte offenbar als Fremdenführer. Nach ihm stieg eine sehr schöne Dame, eine wirkliche Aristokratin aus - o ja, das sah man sofort -, die der Reporter als die Vicomtesse de Chagny und eine der berühmtesten Opernsängerinnen der Welt vorstellte. Das brauchte er mir natürlich nicht zu sagen, denn ich lese die New York Times , weil ich ein Mann von gewisser Bildung bin, auch wenn ich mir alles selbst beigebracht habe. Erst jetzt verstand ich, warum Mr. Tilyou bestrebt war, dieser Dame jeden Wunsch zu erfüllen. Als sie, auf den Arm des Reporters gestützt, den vom Regen glatten Bohlensteg betrat, legte ich das Megaphon beiseite, machte eine schwungvolle Verbeugung und hieß sie erneut in meinem Reich willkommen. Sie bedachte mich mit einem Lächeln, von dem Cader Idris’ steinernes Herz erweicht worden wäre, und antwortete mit entzükkendem französischem Akzent, sie bedaure, mich in meiner Winterruhe stören zu müssen. »Ihr ergebenster Diener, Ma’am«, erwiderte ich, um ihr zu zeigen, daß unter meinem Funmasterkostüm ein Gentleman steckte.
    Als nächstes erschien ein zwölf- oder dreizehnjähriger Junge, ein gutaussehender kleiner Bursche, Franzose wie seine Mutter, der jedoch ausgezeichnetes Englisch sprach. Er hielt einen Spielzeugaffen mit
eingebauter Spieluhr an sich gedrückt, der - wie ich auf den ersten Blick sah - aus unserem eigenen Spielzeugladen stammte. Einen Augenblick lang war ich besorgt: War das Spielzeug etwa defekt? Waren sie gekommen, um zu reklamieren?
    Zuletzt stieg der Mann aus, der wohl für das gute Englisch des Jungen verantwortlich war - ein stämmiger, sportlich wirkender irischer Priester, der zu seiner schwarzen Soutane einen breitkrempigen Hut trug. »Einen schönen guten Morgen wünsche ich Ihnen, Mr. Funmaster«, sagte er, »auch wenn er kalt ist und Sie sich unseretwegen herbemühen mußten.«
    »Aber nicht kalt genug, um ein warmes irisches Herz frösteln zu lassen«, sagte ich, weil ich mich nicht übertrumpfen lassen wollte, obwohl ich als Dissenter nicht viel mit Papistenpriestern zu tun habe. Aber er warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend, woraus ich schloß, daß er vielleicht doch ein anständiger Kerl war. So herrschte fröhliche Stimmung, als ich die vier Gäste den Bohlensteg entlang durchs Tor, an dem offenen Drehkreuz vorbei und zum Spielzeugladen führte, weil klar war, daß sie den zuerst sehen wollten.
    Dank der Petroleumöfen war es drinnen angenehm warm, und Mr. Malta wartete darauf, die Gäste zu begrüßen. Der Junge, der Pierre hieß, war sofort von den mechanischen Tänzerinnen, Soldaten, Musikanten, Clowns und Tieren begeistert, die der ganze Stolz des Steeplechase Toyshops sind. Er rannte in den Gängen auf und ab und wollte alle vorgeführt bekommen.
Aber seine Mutter interessierte sich nur für den Musik machenden Spielzeugaffen.
    Wir fanden mehrere dieser Affen in einem Regal im rückwärtigen Teil des Ladens, und die Vicomtesse de Chagny bat Mr. Malta, sie spielen zu lassen.
    »Alle?« fragte er.
    »Einen nach dem anderen«, erwiderte sie energisch. So geschah es. Die Spieluhren wurden eine nach der anderen mit dem im Rücken der Tiere steckenden Schlüssel aufgezogen. »Yankee Doodle Dandy«, stets dieselbe Melodie. Ich stand vor einem Rätsel. Wollte sie einen Ersatz? Und klangen sie denn nicht alle gleich? Dann nickte sie ihrem Sohn zu, der ein Taschenmesser mit Schraubenzieher aus der Tasche zog. Malta und ich beobachteten erstaunt, wie der Junge eine Klappe im Plüschpelz auf dem Rücken des ersten Affen beiseite schob, eine kleine Abdeckplatte aufschraubte und mit einer Hand in die Öffnung griff. Er holte eine dollargroße Scheibe heraus, drehte sie um und steckte sie wieder hinein. Ich sah Malta mit hochgezogenen Augenbrauen an, und er erwiderte meinen Blick auf gleiche Weise. Der Affe begann erneut zu spielen. »Song of Dixie.« Natürlich - eine Melodie für den Norden, eine für den Süden.
    Pierre setzte die Scheibe wie zuvor ein und schraubte den zweiten Affen auf. Das Ergebnis war das gleiche. Nach zehn Versuchen machte seine Mutter ihm ein Zeichen, er solle aufhören. Malta begann, die Spielzeugaffen wieder ins Regal zu stellen. Anscheinend hatte nicht einmal er gewußt, daß sie zwei Melodien spielen konnten. Die Vicomtesse sah auffällig blaß
aus. »Er ist hiergewesen«, sagte sie, an niemand Bestimmten gewandt. Dann fragte sie mich: »Wer hat

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