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Das Phantom von Manhattan - Roman

Titel: Das Phantom von Manhattan - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth Wulf Bergner
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konstruiert hat, muß ein Genie gewesen sein. Alle Besucher kommen nach einem Rundgang durch die vielen sich ständig verändernden Spiegelräume mit der Überzeugung heraus, Dinge gesehen zu haben, die sie nicht gesehen haben können, und Dinge nicht gesehen zu haben, die hätten dasein müssen. Dies ist kein einfaches Spiegelkabinett, sondern ein Haus der Illusionen. Für den Fall, daß in ferner Zukunft jemand dieses Journal liest, weil er sich für das Coney Island von früher interessiert, will ich versuchen, das Spiegelkabinett und seine Einrichtungen zu beschreiben.
    Von außen erscheint es als schlichtes, niedriges, quadratisches Gebäude mit nur einer Tür, die als Einund Ausgang dient. Der eintretende Besucher steht in einem nach zwei Seiten verlaufenden Korridor. Ob er sich nach rechts oder links wendet, ist gleichgültig. Beide Korridorwände bestehen aus Spiegeln, und der Flur ist genau vier Fuß breit. Das ist wichtig, denn die innere Wand ist nicht durchgehend, sondern besteht aus genau acht Fuß breiten und sieben Fuß hohen Spiegelsegmenten. Jedes dieser Segmente ist um seine Mittelachse schwenkbar, so daß eine ferngesteuerte Drehung den Gang völlig blockiert, aber zugleich eine neue Passage freigibt, die tiefer ins Gebäude hineinführt.

    Dem Besucher bleibt nichts anderes übrig, als diesem neuen Gang zu folgen, der sich durch auf Geheimbefehle erfolgende Drehungen von Segmenten in immer mehr Passagen und kleine Spiegelräume verwandelt, die erscheinen und wieder verschwinden. Aber es wird noch komplizierter: Zur Gebäudemitte hin sind viele der acht Fuß breiten Segmente nicht nur um ihre Mittelachse schwenkbar, sondern stehen zusätzlich auf Drehscheiben mit acht Fuß Durchmesser. Ein Besucher, der mit dem Rücken zu einem der Spiegel auf einer halbkreisförmigen, aber unsichtbaren Scheibe steht, kann um neunzig, hundertachtzig oder zweihundertsiebzig Grad gedreht werden. Er glaubt, nur die Spiegel drehten sich, doch da tauchen für ihn plötzlich andere Leute auf und verschwinden wieder; kleine Räume entstehen und sind dann plötzlich nicht mehr zu sehen; er spricht einen Fremden an, der vor ihm steht, und erkennt erst dann, daß er mit dem Spiegelbild eines Menschen hinter oder neben ihm redet.
    Verheiratete und Liebespaare werden binnen Sekunden getrennt und stolpern vorwärts, um wiedervereint zu werden - aber mit jemand ganz anderem. Angstschreie und lautes Gelächter hallen durch das Gebäude, wenn ein Dutzend junger Paare sich zusammen hineingewagt hat.
    Dies alles kontrolliert der Spiegelmann, der als einziger versteht, wie die Steuerung funktioniert. Er sitzt in einer erhöhten Kabine über der Tür und hat über sich einen Schrägspiegel, der ihm einen Überblick über das gesamte Kabinett verschafft, so daß er
mit den Hebeln vor sich die Passsagen, Räume und Illusionen schaffen und wieder auflösen kann. Mein Problem war, daß Mr. Tilyou darauf bestanden hatte, die Dame aus der Privatgesellschaft solle unbedingt zu einem Besuch des Spiegelkabinetts veranlaßt werden - aber der Spiegelmann war in Ferien und deshalb nicht erreichbar.
    Ich hatte versucht, mich selbst mit der Steuerung vertraut zu machen, und zu diesem Zweck die halbe Nacht mit einer Paraffinlampe in dem Gebäude verbracht, bis ich so mit den Hebeln umgehen konnte, daß ich die Dame zu einem kurzen Rundgang einladen und sie trotzdem rasch zum Ausgang lotsen konnte, wenn sie es wünschte. Denn da alle Spiegelräume nach oben offen sind, hört man die Stimmen der Besucher ganz deutlich.
    Gestern morgen um neun Uhr war alles für den Empfang von Mr. Tilyous persönlichen Gästen vorbereitet. Sie trafen kurz vor zehn Uhr ein. Auf der Surf Avenue herrschte kein Verkehr, und als ich einen Zweispänner an den Büros von Brooklyn Eagle, an den Eingängen von Luna Park und Dreamland vorbei die Avenue entlang auf mich zurollen sah, vermutete ich, daß sie es waren. Denn der elegant lackierte Zweispänner wartete immer vor dem Manhattan Beach Hotel auf Gäste, die mit der Hochbahn von der Brooklyn Bridge herüberkommen.
    Als er heranrollte und der Kutscher seine beiden Pferde zügelte, rief ich laut in das Megaphon: »Willkommen, willkommen, Ladys und Gentlemen, im Steeplechase Park, dem besten und schönsten aller
Vergnügungsparks auf Coney Island.« Die Pferde sahen mich an, als hätten sie einen Verrückten vor sich.
    Aus der Kutsche kam als erster ein junger Mann, ein Reporter des New York American , eines der

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