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Das Phantom von Manhattan - Roman

Titel: Das Phantom von Manhattan - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth Wulf Bergner
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genau wiederzugeben, was sich an diesem Tag ereignet hat.
    Wir betraten das Spiegelkabinett gemeinsam, und sie sah die beiden Korridore links und rechts. Ich bedeutete ihr, sie müsse sich für einen davon entscheiden. Sie zuckte mit den Schultern, lächelte ganz reizend und wandte sich nach rechts. Ich stieg in die Steuerkabine hinauf und warf einen Blick in den schrägen Spiegel. Er zeigte mir, daß sie sich auf halber Strecke zwischen den Seitenwänden befand. Ich bewegte einen Hebel, um einen Spiegel zu drehen und sie so ins Gebäudeinnere zu dirigieren. Er drehte sich nicht. Ich versuchte es erneut. Wieder nichts. Der Mechanismus funktionierte nicht. Ich konnte noch immer sehen, wie sie sich zwischen den Spiegelwänden des äußeren Korridors bewegte. Dann drehte sich ein Spiegel, blockierte ihren Weg und führte sie zur Mitte, ohne daß ich einen Hebel betätigt hätte. Der Mechanismus war offenbar defekt; so wurde es aus Sicherheitsgründen Zeit, sie hinauszuleiten, bevor sie festsaß. Ich verstellte die Hebel, um einen geraden Korridor zum Ausgang zu schaffen. Nichts passierte. Dafür bewegten sich im Innern des Labyrinths Spiegel wie von selbst oder von unsichtbarer Hand gesteuert. Während immer mehr Spiegel sich drehten, konnte ich zwanzig Bilder der jungen Frau sehen, aber
ich war jetzt nicht mehr imstande, zwischen der wirklichen Person und ihren Spiegelbildern zu unterscheiden.
    Plötzlich blieb sie stehen, in einem kleinen zentralen Raum gefangen. Vor einer Wand dieses Raums war eine weitere Bewegung zu erkennen, und ich nahm flüchtig einen wehenden Umhang wahr - ebenfalls zwanzigfach gespiegelt -, bevor er wieder verschwand. Aber es schien nicht ihr Cape zu sein, denn es war schwarz, während sie eines aus pflaumenfarbenem Samt trug. Ich sah, wie sie die Augen aufriß und den Mund hastig mit einer Hand bedeckte. Sie starrte etwas oder jemanden an, das oder der mit dem Rücken zu einem Spiegelsegment stand - genau an der Stelle, die ich wegen des blinden Flecks des Überwachungsspiegels nicht einsehen konnte. Dann hörte ich sie sagen: »Oh, du bist’s also doch.« Ich erkannte, daß jemand es nicht nur geschafft hatte, das Spiegelkabinett zu betreten, sondern auch mitten ins Labyrinth zu gelangen, ohne von mir gesehen zu werden. Das erschien mir unmöglich, bis ich feststellte, daß die Stellung des Schrägspiegels über mir nachts verändert worden war, so daß er nur noch Einblick in eine Hälfte des Spiegelkabinetts gewährte. Die andere Hälfte war für mich unsichtbar. Ich konnte die Vicomtesse sehen - aber nicht das Phantom, mit dem sie sprach. Und ich konnte beide hören.
    Und ich beobachtete noch etwas anderes. Diese französische Aristokratin, reich, berühmt, talentiert und selbstbewußt, zitterte. Ich spürte ihre Angst, aber es war eine mit Faszination vermischte Angst.
Wie das später mitgehörte Gespräch zeigte, war ihr jemand aus ihrer Vergangenheit begegnet, jemand, von dem sie befreit zu sein glaubte, jemand, der sie einst in einem Netz aus - ja woraus? Angst? - gefangengehalten hatte. Angst, ja, die fühlte ich in der Luft liegen. Liebe? Vielleicht, vor langer Zeit. Und Ehrfurcht. Wer er auch war oder einst gewesen sein mochte, sie empfand noch immer Scheu vor seiner Macht, vor seiner Persönlichkeit. Ich sah sie mehrmals erschauern, obwohl nichts, was ich ihn sagen hörte, drohend klang. Ich lasse ihr Gespräch hier folgen:
    ER:
Natürlich. Hast du jemand anders erwartet?
SIE:
Nach dem Affen, nein. Wieder »Masquerade« zu hören... Alles liegt so lange zurück.
ER:
Dreizehn Jahre. Hast du manchmal an mich gedacht?
SIE:
Natürlich, mein Meister der Musik. Aber ich dachte …
ER:
Ich sei tot? Nein, Christine, meine Liebste, nicht ich.
SIE:
Meine Liebste? Heißt das, daß du mich noch immer …?
ER:
Für immer und ewig, bis ich sterbe. Im Geiste bist du noch immer mein, Christine. Ich habe die große Sängerin geschaffen, aber ich konnte sie nicht halten.
SIE:
Als du verschwunden warst, habe ich geglaubt, du seist für immer fort. Ich habe Raoul geheiratet …
ER:
Ja, ich weiß. Ich habe jeden deiner Schritte, deine ganze Entwicklung, jeden Triumph verfolgt.
SIE
Hast du’s schwer gehabt, Erik?
ER:
Ziemlich. Mein Weg ist immer beschwerlicher, als du ahnen kannst.
SIE:
Du hast mich hergeholt? Das Opernhaus gehört dir?
ER:
Ja. Mir ganz allein - und noch viel, viel mehr. Reichtümer, um halb Frankreich aufzukaufen.
SIE:
Warum, Erik, warum hast du’s getan? Konntest du mich nicht in

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