Das Pharma-Kartell
Nachbargebäude. Es gibt Wanzen, die schon beim Bau in die Wände eingemauert werden. Deshalb empfiehlt es sich, auch das zu überprüfen, damit es hinterher von dieser Seite keine Überraschungen gibt. Dann kehre ich in mein Zimmerchen zurück, wo mich die Journale auf dem Schreibtisch und der bekannte Asphaltgeruch empfangen. Ich öffne das Fenster, die Schwüle in dem Zimmerchen lässt nach, dafür dringt reichlich Staub herein, den die Laster draußen aufwirbeln. Am Horizont hängt über den aschgrauen Hügeln schwerer Dunst. Vielleicht wird es regnen.
Mit den Journalen werde ich mich jetzt nicht befassen, ich muss nachdenken, und zwar gründlich. Die Situation im Objekt ist klar. Und noch etwas. Ich könnte mir das Gerücht zunutze machen, dass Doktor Larchey mit einem Auftrag irgendwohin geschickt worden ist. Dieses Gerücht wird schon für Wahrheit genommen.
Ich setze mich an den Schreibtisch und lege meine Zettel vor mich hin. Jeder von ihnen ist ein Mensch oder ein Fakt.
Zu den Fakten muss ich bloß die Präsenz des Santana-Konzerns und die von Fra Medins Untergrundorganisation hinzufügen.
Der Santana-Konzern. Ich hole einen kleinen Prospekt aus der Tasche, den ich in einem der Büros gefunden habe. Eine kostspielige Ausgabe mit modernen, sehr bunten Illustrationen und diskreter Werbung. Angesehene Wissenschaftler führen eigene klinische Erfahrungen an. Sie wissen, Ärzte haben eine besondere Psyche und mögen schreiende Werbung nicht, die kommt ihnen immer verdächtig vor.
Ich klappe den Prospekt auf, und auf jeder Seite sieht mich das Firmenzeichen von Santana an. Geschickt gemacht. Einfach, so dass es sich leicht einprägt. In der Mitte der Becher und die Äskulapschlange. Wenn man der Legende glauben darf, ist diese Schlange eine Jochnatter.
Die Santana-Schlange ist keine Jochnatter. Mir ist, als sehe ich den erhobenen Kopf der Mamba von gestern vor mir. Und die gläsernen Augen, die auf das Wort warten.
„Wenn du etwas siehst, wofür die anderen blind gewesen sind!“ So ähnlich hatte sich doch Larchey gegenüber Frau Battour geäußert. Ich weiß, was er gesehen hat – die Serien Silbe Om. Aber genau dies ist die Serie, die auch die Mamba gesehen hat. Om war die Silbe der Mamba.
Ich denke nach, die Zeit vergeht langsam. Sie vergeht immer langsam, wenn man einen wichtigen Entschluss fassen muss. Dann stehe ich auf. Ich muss Noah oder Sophie finden, damit mich jemand in die Kommandantur fährt. Natürlich sind weder Noah noch Sophie in der Garage. Dafür treffe ich Hern Cellard an, der einen Reifen aufpumpt – er habe in der Stadt zu tun. Genau zur rechten Zeit.
Das Büro
Ein Taxi – eins dieser Taxis von der Kommandantur – bringt mich ins Objekt zurück. Die Reifen quietschen in den Kurven, schwerer Dunst liegt über den grauroten Hügeln. Ich bin unruhig und voller Spannung. Aber nicht wegen des nahen Unwetters. Ich muss jetzt einen schwierigen Zug ausführen. Samat hat lange gezögert, bevor er eingewilligt hat. Er hat ein Argument nach dem anderen angeführt, und alle waren stichhaltig. Vor allem schlug er vor, zunächst das Ergebnis der Falle mit O’Sullivan abzuwarten.
Wir können nicht abwarten. Sie müssen ununterbrochen gezwungen werden, sich zu wehren, kurzfristig etwas zu unternehmen.
Das Taxi setzt mich ab und fährt zurück. Ich schließe das Zimmerchen im Parterre auf. Das Dämmerlicht hat es ausgefüllt, der Wind prallt ans Fenster, dass es scheppert. Irgendwo im Korridor zerbricht klirrend Glas. Aber das Unwetter zieht anscheinend in größerer Entfernung vorbei, denn es hat nicht die Kraft von vorgestern. Die Regengüsse kommen stoßweise, immer dann, wenn es blitzt.
Ich schalte die Lampe an und schaue hinaus. Es ist nichts zu sehen, als seien wir von der Welt abgeschnitten. Selbst die orangefarbenen Bulldozer, die das Erdreich auf der Straßentrasse vor sich herschieben, sind hinter dem Vorhang aus Wasser verschwunden.
Ich muss warten, bis es aufhört. Für das, was ich mit Samat beschlossen habe, brauche ich gutes Wetter. Und ich muss Sophie sehen, für die ich eine neue Botschaft bereithalte.
Ich sammle die Patience ein und will sie in die Tasche stecken, zögere aber. Nein, ich darf nichts mehr bei mir haben. Alles Nötige habe ich Sophie aufgeschrieben, das andere kann sich in einem bestimmten Moment gegen mich wenden. Deshalb muss ich mich von meinen Aufzeichnungen trennen, und zwar auf die sicherste Weise – indem ich sie verbrenne.
Ein paar Minuten
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