Das Pharma-Kartell
sicherlich sind es schon nicht mehr zehn, sondern neun oder acht. Und dieser andere hat begriffen, dass es aus ist, und ist ganz ruhig.
Bisweilen habe ich versucht mir vorzustellen, was zum Tode Verurteilte fühlen und woran sie zurückdenken. Ich habe es nie gekonnt. Und jetzt finde ich es sonderbar, dass ausgerechnet ich solche Empfindungen spüre. Aber es ist, als hätte ich eine Grenze der Anpassung überschritten, hinter der man aufhört, sich zu erregen. Das Bewusstsein hält sich an Kleinigkeiten fest, es will der schrecklichen Wahrheit entfliehen. Die Ränder der Ledersitze haben Risse. An meinem linken Handgelenk ist eine Narbe. Sie stammt aus meiner Kindheit, aus der Zeit, da die Welt groß war.
Angst habe ich nicht. Ich wundere mich sogar, dass ich keine Angst habe. Nur ein bisschen traurig bin ich, dass ich die Menschen nicht mehr sehen werde, die ich liebe. Sicherlich werden sie auch um mich trauern, doch dann werden Tage vergehen, aus den Tagen werden Monate und Jahre, und ich werde in ihrem Bewusstsein nur eine verschwommene Erinnerung bleiben. Das wird alles sein. Ich habe keine Angst. Es gibt schrecklichere Dinge als den Tod.
Van Basten - aufs Lenkrad gestützt - drängt nicht. Das macht ihm Ehre er ist nicht nervös, schaut nicht auf seine Uhr. Er ist einfach Teil einer Maschine, die in Gang gesetzt worden ist und nicht mehr angehalten werden kann.
Die Sonne geht unter, die Schatten reichen schon bis zum Weg. Ein Flugzeug zieht hoch über der Stadt seine Kreise. Es ist sicherlich dasselbe, das vor einer Weile über uns weggeflogen ist. Dort geht das Leben weiter. Es wird auch weitergehen, wenn ich nicht mehr da bin. Van Basten wendet sich mir zu und sieht mich an. Vorbei. Meine Zeit ist vorbei. Alles ist klar, er braucht mich nicht erst zu fragen, wie ich mich entschieden habe.
„Tut mir leid“, sagt er und verzieht die Lippen. „Ich habe Ihnen eine Chance gegeben. Sie haben selbst gewählt.“
Ob er’s hier tut oder draußen? Anscheinend draußen. Die Bulldogge öffnet die Tür und steigt aus, sie langt nach meiner Tür, um sie zu öffnen. Ich werde aussteigen müssen und ein paar Schritte gehen. Sie wird mir in den Rücken schießen.
Da ist etwas. Ich kann nicht dahinterkommen, was es ist, aber da ist etwas.
Die Bulldogge zögert. Und van Basten dreht den Kopf weg und horcht.
Das Flugzeug. Es hat seine Kreise gezogen, entfernt sich jetzt aber nicht. Das Dröhnen der Motoren ist hoch über uns stehen geblieben und kommt tiefer. Es ist kein Flugzeug, es ist ein Hubschrauber.
Er hängt über uns. Zusammen mit dem Motorengedröhn überschüttet uns für einen Augenblick grellrotes Licht. Der Hang vor uns wird dunkel, in das dürre Gesträuch kommt Leben, es bewegt sich gleichsam, dann kehrt es an seinen Platz zurück. Am Ende der Rakete kräuselt sich dünner grauer Rauch.
Die Bulldogge duckt sich plötzlich, rennt zur Seite hinter die Steinhaufen und reißt eine Maschinenpistole von der Schulter. Van Basten lässt den Motor an und legt den Gang ein. „Steigen Sie aus!“, befiehlt er. „Stellen Sie sich vor den Wagen und geben Sie ein Zeichen, dass man uns weglässt. Und keine faulen Tricks!“
Ich strecke den heilen Arm aus und packe den Schalthebel. Van Basten versucht instinktiv, meine Hand zu öffnen, schafft es aber nicht. Mit aller Kraft, die mir geblieben ist, halte ich fest. Er stößt einen Fluch aus, langt unter den Sitz und bringt eine Pistole zum Vorschein.
„Wenn Sie schießen, verlieren Sie alles!“, sage ich rasch. „Sie haben nur eine Chance! Hören Sie!“
Die Pistole ist auf meine Brust gerichtet.
„Sie sind Holländer“, fahre ich fort. „Mit meinen Aussagen kommen Sie billiger davon. Wenn Sie mich umlegen, gibt es keinen Prozess! Man hat mir versprochen, Sie hier an Ort und Stelle zu erledigen.“
Nichts ist mir versprochen worden, aber das ist in seinem Stil. Und es geht um seine eigene Haut. Van Basten zögert eine Sekunde lang.
„Alle Wege sind blockiert!“, schreie ich durch das Dröhnen, das sich von oben heruntersenkt. „Stecken Sie die Pistole weg, und links…“
Ich kann den Satz nicht zu Ende sprechen und ducke mich tief in den Sitz. Denn die Bulldogge mit der Maschinenpistole begeht die letzte Dummheit ihres Lebens. Sie gibt einen langen Feuerstoß auf den Hubschrauber ab. Und wird still. Die im Hubschrauber schießen viel genauer.
Epilog
Ich kann es immer noch nicht glauben, dass der Albtraum vorbei ist. Hinter dem Fenster wiegen
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