Das Pharma-Kartell
die Bäume im Garten der Pension ihre Zweige, ich höre die Vögel darin, doch vor meinen Augen liegt immer noch der rötliche Hügel mit dem stillgelegten Steinbruch.
Alles ist vorbei. Ein paar Dinge werde ich sofort für den Bericht festhalten müssen, andere kommen später dran, bei der Vernehmung des Holländers. Anja Krüger ist uns jedoch durch die Lappen gegangen. Vielleicht hat ihr ein sechster Sinn zugeflüstert, dass die Ereignisse eine schlechte Wendung nehmen, und mein Besuch im Büro hat ihre Zweifel bestätigt. Seit heute Mittag hat sie niemand mehr gesehen.
Nicht weiter wichtig, das Wesentliche ist klar. Wir werden Doktor Larchey nie mehr finden.
Vor mir auf dem Schreibtisch liegt sein letzter Brief. Nur ein paar Zeilen.
Al Agadir
16. Juni, 19.30 Uhr
Liebe Jenny!
Dies ist das Ende. Auf dieser Welt wird für alles bezahlt, ich muss für meine Illusionen ebenfalls zahlen. Es wäre nicht richtig, zu sagen, dass ich ihr Opfer geworden bin. Ich habe nicht einmal den Trost, ein Opfer zu sein, denn ich habe mich freiwillig in diese Hölle begeben. Ich möchte mich nicht rechtfertigen und dich nicht um Verzeihung bitten, es erübrigt sich. Ich bereue vor niemandem. Wenn ich nicht in Würde leben kann, so kann ich wenigstens mit Anstand sterben.
Es tut mir leid, dass ich Dir und Toby solchen Schmerz bereite, aber glaube mir, so ist es wirklich besser.
Gib Toby einen Kuss von mir, und wenn Du mir doch verzeihen kannst, so verzeih mir. Es küsst Dich zum Abschied
Dein Enzo
Ich streiche mit der Hand über das Blatt Papier, glätte es und lese es nochmal. Dann versuche ich, mir die Ereignisse vorzustellen.
Angefangen hat das schon in Paris. Enzo Larchey erregte die Aufmerksamkeit eines Agenten von Santana, und ihr Erkundungsdienst hat ihn eine ganze Weile beobachtet, bevor sie versuchten, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Zunächst haben sie seine Stimmungen studiert, seine Ambitionen und sein ungezügeltes Verlangen nach Berühmtheit. Danach haben sie seiner Eigenliebe geschmeichelt, ihm für den Fall, dass er zu ihnen überträte, ein weiteres Arbeitsfeld versprochen. Sie haben ihm Zeit zum Nachdenken gelassen, keine Informationen von ihm verlangt und ihn nach und nach an sich gebunden. Er aber hat immer gemeint, er sei keine Bindung eingegangen und könne sie um den Finger wickeln.
Dann wurde er hierher versetzt, und da wurden die Vorschläge konkret. Santana hat Wert darauf gelegt, über die Kernpunkte der Forschung Bescheid zu wissen, über die Richtungen, die Projekte für neue Produktionen. Und sie haben auf jede Weise versucht, ihm zu zeigen, wie geringfügig die Informationen seien, die sie von ihm erhielten. Diese Aufgabe hat Anja Krüger übernommen. Sie hat sich an Larchey herangemacht, indem sie so tat, als hätte sie für ihn Feuer gefangen, hat von Santana Anweisungen erhalten und ihm die Informationen aus der Nase gezogen. Santana ist sehr behutsam vorgegangen. Denn dieses Absatzgebiet hat schon anderen gehört, dem holländisch-amerikanischen Konzern Marabell. Und Marabell war nicht gewillt, ruhig zuzusehen, wie andere in seinen Hoheitsbereich der Pharmazie eindringen. Sein langjähriger Vertreter Rijder van Basten hat sich gut umgesehen. Kann sein, er ist von selbst auf Larchey gestoßen, kann sein, er hat die Information über irgendwelche unbekannten Kanäle erhalten, aber zu guter Letzt hat er Larchey vorgeschlagen, Santana preiszugeben und zu ihnen überzuwechseln. Ich kann mir vorstellen, wie dem ehrgeizigen und von sich eingenommenen Larchey zumute war, als van Basten anfing, ihn zu erpressen. Und zur selben Zeit kam die Entdeckung – keine große, aber eben doch eine Entdeckung. Es spricht für sich selbst, dass kein einziges Präparat von irgendeiner Zulassungsbehörde der Welt für die Vorbeugung oder Behandlung von der Serie Om zugelassen ist. Mit dem verlogenen Argument, es gibt „keine Alternativen“, werden Millionen Patienten, insbesondere in den Entwicklungsländern, als Versuchskaninchen missbraucht und skrupellos dem milliardenschweren Pharma-Geschäft geopfert. Und er hatte sich darauf eingelassen, die ungetestete Serie freizugeben, ohne über die Folgen nachzudenken. Ahnungslose Patienten waren ihre Opfer.
Larchey verheimlichte sie durch die scheinbar ergebnislose Om Serie und hat sicherlich geglaubt, sich damit von dem grausamen Spiel loskaufen zu können.
Vergebens. Die Spinnen von Santana und Marabell wollten ihn nicht mehr aus ihren Netzen
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