Das Philadelphia-Komplott
wie viel Liebe und guten Vorsätzen sie sich auch um Prudence kümmerten.
“Nicht, wenn ich es verhindern kann”, sagte Syd aufmunternd.
“Hat er Recht, Syd? Glaubst du, dass diese Verbrecher mein Kind schon getötet haben?”
“Nein, das glaube ich nicht”, sagte Syd mit aller Überzeugungskraft, die sie aufbringen konnte. “Mike will nur seine Chancen auf die Übertragung des Sorgerechts verbessern, das ist alles.”
“Syd, du
musst
etwas dagegen unternehmen”, flehte sie.
In diesem Moment hatte Syd keine Ahnung, was sie tun sollte. Dot gegenüber gab sie sich jedoch optimistisch. “Lass mich in Ruhe darüber nachdenken, ja? Wenn mir was eingefallen ist, melde ich mich wieder bei dir.”
Da sie ihre Termine geschickt verlegt hatte, hatte sie am Nachmittag Zeit, sich um Dots Problem zu kümmern. Im ersten Schritt würde sie herausfinden, wie Mikes Chancen, das Sorgerecht zu bekommen, wirklich standen. Und niemand konnte diese Frage besser beantworten als Richter Ignatius Vargas.
Der ehemalige Jugend- und Familienrichter verbrachte inzwischen die meisten Tage in einem Büro in der Stadt und schrieb seine Memoiren. Syd freute sich, dass er eine neue Herausforderung gefunden hatte. Sie hatte während des Studiums einige Zeit für ihn gearbeitet und fand, dass er einer der mutigsten und mitreißenden Männer war, die sie jemals getroffen hatte. Seine Abenteuer in seiner Heimat Kuba und seine Flucht von dort würden eine spannende Geschichte geben.
Als sie sein Büro betrat, erhob er sich, offensichtlich erfreut darüber, sie zu sehen. “Sydney Cooper, was für eine Freude.”
Er war ein untersetzter Mann mit der dunklen Haut seiner kubanischen Vorfahren, vollem, zinnfarbenem Haar und einem dunklen, intensiven Blick, der unzähligen Anwälten Respekt eingeflößt hatte. Jetzt aber hätte er nicht freundlicher sein können.
“Du siehst hervorragend aus”, sagte er und nahm ihre Hände. “Ich hätte nie vermutet, dass du erst vor kurzem das Opfer einer Schießerei gewesen bist. Wie geht es dir?”
“Ganz gut, danke. Ich war mir nicht sicher, ob Sie sich an mich erinnern würden.”
“Mich nicht an dich erinnern? Du warst eine meiner cleversten Assistentinnen. Und niemals mit einer einfachen Antwort zufrieden, wenn ich mich recht erinnere.”
“Daran sind zum Teil Sie Schuld, Richter. Wie oft haben Sie mir erzählt, ‘es gibt keine einfachen Antworten’?”
“Keine besonders eindrucksvolle Aussage, würde ich meinen.”
“Aber wahr!”
Er deutete auf einen Stuhl. “Bitte, setz dich. Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?”
“Nein, danke.”
“Ich bin sehr stolz auf dich, Sydney, und darauf, was du alles erreicht hast. Ich habe gewusst, dass du es einmal weit bringen wirst.”
“Danke, Richter. Ich hatte gute Lehrer.”
“Aber du siehst besorgt aus. Ich nehme an, es hat einen Grund, warum du mich besuchen kommst?”
Sie nickte. “Wie viel wissen Sie über die Entführung von Lilly Gilmore?”
“So viel wie jeder andere, der Zeitung liest und Nachrichten schaut. Sie ist wohl eine gute Freundin von dir, oder?”
“Meine beste Freundin.”
“Kann ich dir irgendwie helfen?”
“Sie könnten mir bei einer Frage Klarheit verschaffen. Das Sorgerecht für ihre sechsjährige Tochter wurde nach der Scheidung von ihrem Mann an Lilly übertragen. Wenn Lilly auf Reisen ist, was selten vorkommt, oder länger arbeitet, kümmert sich ihre Mutter um Prudence. Dorothy Branzini hat eine große Familie, die sich sehr nahe steht, und alle Familienmitglieder beten Prudence an. Jetzt, wo Lilly verschwunden ist, hat ihr Exmann einen Antrag auf Übertragung des Sorgerechts gestellt, in dem er behauptet, Dorothy Branzini könne sich in ihrem ‘fortgeschrittenen Alter’ – sie ist gerade mal zweiundsechzig – nicht mehr richtig um Prudence kümmern.”
“Das Sorgerecht wird meistens der Mutter übertragen”, sagte Richter Vargas, “das ist also nichts Ungewöhnliches. Aber gab es einen speziellen Grund, warum der Vater nicht einmal versucht hat, einen Teil des Sorgerechts zu bekommen?”
“Ich vermute, dass es einen Grund gibt, aber ich bin mir nicht sicher. Lilly hat nie mit mir über ihre Vereinbarungen mit Mike gesprochen. Alles was ich weiß, ist, dass er nicht darum gekämpft hat. Bis jetzt. Er will das volle Sorgerecht für Prudence.”
Der Richter schwieg nachdenklich. “Lilly hat ein Testament”, fuhr Syd fort, “darin steht, dass sie ihre Tochter in die Obhut ihrer Mutter
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