Das Prachtstück
nichts. Wer will das schon wissen? SchlieÃlich kenne ich keinen, der zurückgekommen wäre, um zu erzählen. Du vielleicht? Aber Sterben, Sterben ist alles andere als geil. Und tut, glaube ich wenigstens, ganz schön weh. Deshalb fürchte ich mich davor. Tierisch sogar. Und soll ich dir was sagen, eh? Jeder, der behauptet, er tut das nicht, lügt. So einfach ist das. Glaub mir!â¹Â«
Bina Moll räusperte sich. »Die Zeiten sind knochenhart. Ich hoffe, alle hier im Raum sind sich dessen bewusst. Meinen Sie wirklich, mit solch deprimierenden Binsenweisheiten verkaufen wir ein Exemplar mehr?«
Jetzt betrachtete Sofie angelegentlich ihre Nägel, die eine Maniküre dringend nötig gehabt hätten, bis sie sich schlieÃlich zu einer Antwort aufraffte.
»Hätte ich ihn Ihrer Meinung nach lieber danach fragen sollen, was er von potenzverstärkenden Mitteln hält? Oder von Beischlaf im Drachenflieger?« Sie hob den Kopf und starrte ihr Gegenüber provozierend an. »Kein Problem, liebe Frau Moll! Kann ich ja beim nächsten Mal nachholen, wenn Sie unbedingt wollen. Bringt bestimmt eine Traumauflage!«
»Werden Sie bloà nicht frech, ja!« Bina Moll blies sich zu imponierender GröÃe auf, was ihr nur im Sitzen halbwegs gelang. Denn aufrecht stehend war sie zwar hager, aber leider ausgesprochen kurzbeinig. »Wir sind die Zeitschrift für die junge Leserin, Frau März, und kein Blatt, das sich an potenzielle Friedhofsbesucher richtet. Verstanden?«
»Komisch nur, dass die Rückläufe trotzdem so überaus positiv sind, finden Sie nicht?« Einen Giftpfeil wenigstens noch musste Sofie abschieÃen.
»Bilden Sie sich bloà nichts ein! So etwas kann sich nämlich schneller ändern, als uns lieb ist. Und ich habe nicht vor, solche und andere Experimente zu veranstalten. Das können wir uns nämlich nicht leisten, Herrschaften!« Jetzt nickte schon mehr als die Hälfte der Kollegen. »Nicht in einer Medienlandschaft, in der jeden Monat ein anderes Blatt in die Pleite fährt. Entsprechend haben künftig Ihre Fragen auszusehen. AuÃerdem wünsche ich, dass Sie sie mir vorher vorlegen.« Sie bemühte ihr Haifischlächeln. »Nur, um ganz sicherzugehen, verehrte Kollegin!«
Nach der Sitzung schaltete Sofie den Computer ein und hackte wütend neue Fragen in die Tasten. Noch schräger, noch tiefgründiger. Noch nachdenklicher. Frau Moll sollte nur schon mal die Ohren anlegen! Hineinpfuschen in ihr journalistisches Geschäft lieà sie sich von niemandem. Und erst recht nicht in eine Serie, die erfolgreicher lief als alles andere.
»Ich fürchte, du gehst wirklich zu weit«, gab Helga zu bedenken. Bina Molls Auftritt hatte wie ein Lauffeuer die Runde gemacht und sich erstaunlich rasch bis in die Sekretariate herumgesprochen. »Wenn sie das hier liest, flippt unsere gute alte Molli auf der Stelle total aus!«
»Liest sie aber nicht.« Fragen zuvor absegnen lassen â so etwas hatte man ihr ja nicht einmal als Volontärin beim Trierer Volksboten zugemutet!
»Aber es hieà doch, du sollst ihr alles vorlegen! Komm, Sofie, sei doch nicht so stur! Willst du dir denn unbedingt mit aller Macht dein Leben schwerer als unbedingt nötig machen?«
»Was weiÃt du schon von meinem Leben?«, versetzte sie der Sekretärin leichthin.
Vielleicht wollte Sofie das sogar. Denn in Wahrheit waren es mindestens vier verschiedene Leben, die sie zur gleichen Zeit führte.
Das Leben als Redakteurin. Hektisch, anstrengend, vollgepackt mit Menschen und Terminen.
Das Leben mit Hannes, in dem sie sich neuerlich wie auf rohen Eiern bewegte, um nur ja nirgendwo anzustoÃen.
Das Leben mit Linda, der neuen und doch so vertrauten Freundin, das einzige, in dem so etwas wie Loslassen und Atemholen möglich war. Hier konnte sie zur Ruhe kommen, lachen, rumalbern â oder ganz einfach auch mal nur durchhängen.
Und schlieÃlich das wichtigste Leben von allen, neu, aufregend, verrückt, das sie ganz in Beschlag nahm und bis in ihre Träume verfolgte. In ihm regierte nach wie vor einzig und allein Fabian Wunder, ihr Lover, der seinem Namen alle Ehre machte. Sie musste nur die Augen ganz kurz schlieÃen, um seinen Mund zum Greifen nah vor sich zu sehen. Die Lippen waren fest, rot und leicht gekräuselt. Mal spöttisch, mal zärtlich. Die Bitternis, die sie gelegentlich nach unten
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