Das Prachtstück
Babette ihre eigene Unordnung zu kreativem Chaos stilisiert hatte, lag ihr daran, dass bei ihrer Tochter alles aufgeräumt war. Der plötzliche Besuch passte Linda nicht ins Konzept. Ãberhaupt nicht. Sie hasste derartige Ãberfälle abgrundtief, und ihre Mutter wusste es haargenau. Wieso hatte sie sich nicht einfach geweigert? Ob sie das Nein sagen zur richtigen Zeit jemals lernen würde?
Zwischendrin hielt sie immer wieder inne. Was Babette wohl wirklich von ihr wollte? Bei ihrem letzten Treffen hatte sie versucht, ihrer Tochter eine Lehre als Töpferin schmackhaft zu machen. Keine wirkliche Kunst, das natürlich nicht, aber zumindest doch nettes, solides Kunstgewerbe. Und damit in ihren Augen selbst für Herlinde geeignet. Ihre Bemühungen waren vergeblich gewesen, aber immerhin so penetrant, dass sie beide sich schlieÃlich angegiftet hatten wie in guten alten Zeiten. Man konnte gespannt sein, welchen Joker Babette heute aus der Tasche ziehen würde.
Linda ging zum Telefon, um Sofie abzusagen. Wie sie die Freundin kannte, würde sie sofort die Gelegenheit ergreifen, um ein spontanes Rendezvous einzuschieben, damit das prima Alibi nicht ungenutzt verfiel.
Sie hatte richtig getippt.
»Schade«, hauchte Sofie in den Hörer. »Klingt nach einer Art höherer Gewalt. Kann man wohl nichts machen. WeiÃt du, was? Ich schauâ mal, ob ich Fabian nicht zufällig irgendwo erwische. Wir könnten zusammen zum Ammersee rausfahren. Ich weià da ein lauschiges Plätzchen zwischen hohem Schilf, vollkommen ungestört und weitab jeder Zivilisation, wo sich einiges anstellen lässt.« Sie lachte kehlig, dann wurde sie wieder ernst. »Lass dich von deiner Mamma Leone nicht niedermachen, Linda! Versprichst du mir das? Kennst du übrigens den? Mütter sind wie Gewitterwolken. Schwer, bedrohlich und regenreich, aber sie ziehen jedes Mal wieder ab. Glücklicherweise! Ich ruf dich wieder an. Ciao!«
Linda hätte am liebsten die Badesachen eingepackt, um mitzufahren. Plötzlich verspürte sie einen Anflug von Neid. Mit einem netten Mann und einem gutgefüllten Picknickkorb mitten auf einer Wiese am See, ungestört ⦠Sie vertrieb die sehnsüchtigen Träume schnell wieder. Wahrscheinlich würde ihr der Kerl binnen kurzem unheimlich auf die Nerven gehen, Feli zudem vom Steg fallen oder Nudel wahlweise versuchen, eine Karriere als Tiefseetaucher zu starten.
Schwungvoll öffnete sie das Fenster. Unten im Hof spielte Feli mit zwei kleinen Jungen aus dem Nachbarhaus. Schmutzverkrustet, soviel konnte sie selbst von oben sehen.
»Komm rauf, Feli. Es ist Zeit!«
»Jetzt?«
»Jetzt!«
»Gehen wir gleich baden?«
»Nein, wir bekommen Besuch.«
»Dann kann ich nicht«, schallte es zurück. »Wir sind noch nicht fertig. Basti lässt mich gleich noch mal auf seinem Fahrrad fahren.«
»Und ob du kannst! Oma Babuschka kommt gleich, und ich möchte dich vorher noch frisch anziehen.«
»Will ich nicht!«
»Das nützt aber nichts!«
»Ich komme nicht!«
»Dann komme ich dich holen.«
Linda lief nach unten, um die Diskussion zu Ende zu führen, ohne sich die Seele aus dem Leib schreien zu müssen. Feli war bereits bestens gegen ihre Attacke gewappnet. Sie hatte beide Arme um einen jungen Baum geschlungen und rührte sich nicht von der Stelle. Die kleinen Pimpfe von nebenan standen da und starrten mit offenem Mund in die Luft.
Nudel nutzte die unübersichtliche Situation, um mitten im frischgefüllten Sandkasten ein exaktes Würstchen abzulegen. Linda bereinigte mit Schaufel und Eimer die Bescherung, dann versuchte sie, ihr widerspenstiges Kind abzupflücken. Die Kleine besaà erstaunliche Kräfte. Besonders, wenn sie so bockig war wie jetzt.
»Will nicht!«, schrie sie aus Leibeskräften. »Immer muss ich machen, was du sagst! Nur, weil du groà bist und ich klein. Das ist gemein! So gemein!«
»Was willst du dann? Streit?«, fragte Linda. »Willst du wirklich Streit, Feli?«
»Ja. Nein. Lass mich! Aua, du tust mir weh!«
»Ich lassâ dich jetzt nicht. Du kommst mit rauf, und zwar sofort! Ich habâ dir vorher schon gesagt, weshalb. Ihr könnt morgen weiterspielen. In aller Ruhe.«
Einer der kleinen Buben nickte.
»Will aber nicht! Du bist blöd, Mama! Und gemein. Eine scheiÃblöde Kuh!«
Jetzt packte Linda fest zu. »Das
Weitere Kostenlose Bücher