Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Prinzip Selbstverantwortung

Titel: Das Prinzip Selbstverantwortung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard K. Sprenger
Vom Netzwerk:
aber letztlich erfolglose Anstrengung. Kein Mitleidheischen für den Einbruch des Zufalls. Ein klares »Ich war nicht oben«.
    Die Wahl der Qual
    Mir ist sehr wohl bekannt, dass in einem Kellergewölbe dieser Gedankengebäude der Zynismus lauert. Manchmal ist die Qual der Wahl eher die Wahl der Qual. Bei allen fundamentalen Gedanken dieser Art besteht die Gefahr, dass der Flickenteppich der Argumentation an den Rändern ausfranst. Auch werden nicht wenige Leser das bisher Ausgefaltete als Ketzerei eines unsozialen Gottseibeiuns entrüstet ablehnen. So mancher sieht gar den radikalkapitalistischen Pferdefuß herauslugen.
    Wenn auch mancher glauben mag, er habe nur zwischen Pest und Cholera wählen können (meistens allerdings hatte er weitaus mehr Optionen): Tatsache ist, dass wir nur eines nicht wählen können: das Wählen.
    |58| In meinen Seminaren empfinden Teilnehmer die Denkfigur der Wahlfreiheit oft als Zumutung, gegen die sie sich mit Händen und Füßen wehren. Kaum habe ich die Idee entwickelt, sucht man Lücken im Modell, Widersprüche. Man verliert sich in der Bodenlosigkeit extremster existenzieller Situationen, um die universelle Geltung des Prinzips zurückzuweisen (wo es mir doch nur um die Nützlichkeit eines Gedankens geht). Sein Leben und seinen Tod habe man doch wohl nicht gewählt (viele so genannte »Naturvölker« und Weltreligionen sehen das ganz anders); auch bei der Krankheit könne man doch wohl nicht von einem Wählen sprechen (wo doch schon für die Schulmedizin im psychophysischen Grenzbereich die Selbstverantwortung zweifelsfrei ist). Wichtig ist aber nicht diese oder jene »wissenschaftliche« Meinung. Die Frage ist, ob ein Gedanke Sie in Ihrer Selbstverantwortung schwächt oder stärkt.
    Sachzwänge? Menschenzwänge!
    Aber es gibt doch Sachzwänge! Tatsächlich? Ist der Hinweis darauf nicht vielmehr eine Denkfaulheit, ein vorgeschobenes Argument, eine Ent-Antwortlichung? Oft genug muss der »Zeitdruck« die Rolle des bösen Buben spielen. Dass er selbstproduziert ist, dass er von individuellem Wählen getragen wird, dass dahinter nicht selten mangelnder Mut zum »Nein« steht – das wird verschwiegen.
    Unter ökonomischem und zeitlichem Druck wird Wahlfreiheit allerdings kaum noch erlebt. Steven Brenner und Earl Molander konnten schon 1977 nachweisen, dass sich 43 Prozent der befragten Manager zu Praktiken gezwungen
fühlten
, die sie selbst zwar moralisch missbilligten, jedoch für nötig hielten, um den Erfolg ihres Unternehmens und somit auch ihrer eigenen Karriere nicht zu gefährden. »Manager, die gegen ihren Willen die Umwelt belasten«, stand richtungsgleich in einer bedeutenden Managerzeitschrift zu lesen. Unsinn! Nichts geschieht ohne Ihren Willen. Sie haben es gewählt.
    Gerade wenn Führungskräfte die Wünsche und Ansprüche ihrer Mitarbeiter abweisen wollen, argumentieren sie häufig mit |59| »Sachzwängen«. Sie reklamieren die »äußeren Umstände«, um ihr »Nein« nicht zu verantworten. Oder sie waschen mit dem Verweis auf »Oben« ihre Hände in Unschuld: »Ich will das ja eigentlich gar nicht, aber ich habe ja auch einen Chef, und der zwingt mich dazu …« Hier zwingt nur einer sich. Aber die Hände sollen sauber bleiben. Dass dahinter eine Wahlentscheidung steht, wird unterschlagen – aber auch vom Mitarbeiter in der Regel nicht klar konfrontiert.

    Das Gerede von den Sachzwängen ist das Einfallstor für ganze Heerscharen von Zynikern. Das sind Menschen, die ahnen, dass sie selbst sich zwingen, dass der Sachzwang nur Verlegenheit ist, aber die das Gefühl des Leidens nicht zulassen. »Es ist schwer, etwas zu wissen, und zu handeln, als wüsste man’s nicht.« (Wittgenstein) Der Großinquisitor in Dostojewskis »Brüder Karamasov« – an ihm kann man es sich klassisch veranschaulichen.
    |60| Zynismus ist eng verzahnt mit dem Burn-out-Syndrom, über das viel geschrieben wurde. Es werden sogar Seminare angeboten, um jenem schleichenden Prozess des inneren Ausbrennens vorzubeugen, der sich in sinkender Belastbarkeit und Produktivität, in Depressionen und gesteigerter Anfälligkeit für Krankheiten äußert. Dort spricht man von fehlender Anerkennung, Stress, schlecht organisierten Arbeitsabläufen, sozial-emotionaler Verarmung und Sinnlosigkeit; in einer Broschüre: »wenn jemand eine unhaltbare Situation aushalten muss, ohne ihr entfliehen zu können«. Opfer-Stories! Die wahre Quelle des Phänomens ist fehlendes Bewusstsein der Wahlfreiheit, nicht

Weitere Kostenlose Bücher