Das Prinzip Selbstverantwortung
bewältigte (aber selbstgewählte) Autonomie-Einbußen. Das Gefühl, ausgeliefert zu sein, und nicht – wie es heißen müsste – sich ausgeliefert zu haben.
Doch wer sich ausgeliefert hat, kann das ändern, jederzeit. Er hat die Wahl, die Sachzwänge zu entlarven als das, was sie immer sind: Menschenzwänge. Menschen zwingen sich. Sich dies bewusstzumachen ist besonders wichtig in Zeiten, in denen man Unwahrhaftigkeit als »sachzwangreduzierte Ehrlichkeit« etikettiert.
Der Vollständigkeit halber: Wer in Unternehmen arbeitet, weiß, dass sich Wirtschaft für weite Teile der Mitarbeiter zum »Sachzwang« verfestigt hat. Für viele ist Freiheit nur ein Reklamewort; sie sprechen vom Maschinencharakter der Welt, den Kodierungen, den Apparaten, in denen der Einzelne im Rhythmus der Verhältnisse zuckt. Der Anpassungsdruck wird oft als übermächtig erlebt. Aber was
ist
, war nicht immer so. Und wird zukünftig auch wieder anders sein. Das sollte uns ermutigen, auch über
Veränderungen
und Weiterentwicklungen im Bereich der Wirtschaft nachzudenken – und nicht nur zu denken. Darauf gehe ich später ausführlich ein.
Destruktive Ideale
Alle Ideale haben eine hochgradig destruktive Spitze. Sie machen uns blind für das Mögliche, weil wir über Unerreichbares phantasieren. Gefühle von Wohlstandsbürgern, die ihren vollen Kleiderschrank |61| anseufzen:
Etwas fehlt immer!
So überschütten wir unsere Firma, unseren Chef, unsere Mitarbeiter mit Perfektionsidealen, denen sie dann nicht entsprechen. Heimlich rächen wir uns dafür, dass sie nicht so sind, wie wir sie haben möchten. Die Aufmerksamkeit kreist um die unerfüllte Erwartung. So, als seien die anderen auf der Welt, um uns glücklich zu machen. Viele basteln mit geradezu selbstzerstörerischer Wut an ihrem Überanspruch, um die Umstände und Bedingungen be- und anklagen zu können. Sie suchen ständig das Haar in der Suppe. Und viele setzen sich so lange kopfschüttelnd vor die Suppe, bis ein Haar hineingefallen ist.
Diese Leute nehmen sich und ihre »suchende«, latent unzufriedene Einstellung mit zu jeder neuen Aufgabe. Es ist erstaunlich zu sehen, wie Leute von einer Firma zur anderen wechseln, permanent auf der Suche nach der »richtigen« Arbeitsstelle, immer auf der Jagd nach dem idealen Job, ohne zu sehen, dass sie selbst das eigentliche Problem darstellen. Sie vergessen, dass sie selbst das Defizit gleichsam »mitbringen«. Irgend etwas fehlt für sie immer. Das Glas ist immer halb leer. Aber das Paradies sollten wir dorthin zurückbringen, wo es die Christen schon immer vermutet hatten: ins Jenseits.
Dies ist kein Plädoyer gegen einen Wechsel des Arbeitsplatzes oder des Unternehmens. Mancher sitzt jedoch einem Trugschluss auf: Er glaubt durch einen Jobwechsel etwas Größeres oder Besseres zu finden, als er schon kennt. Er träumt von Lebens- und Arbeitssituationen voller Befriedigung, Anerkennung und materiellem Wohlstand. Er packt seinen Koffer, verabschiedet sich von der alten Firma (nicht selten von seinen ehemaligen Arbeitskollegen beneidet) und wacht schließlich in einer anderen Firma auf – und da neben ihm ist das nämliche Selbst, unverändert, vor dem er floh. Er geht mit sich, wohin er auch gehen mag.
Wenn Sie glauben, durch die äußere Veränderung der Arbeitsumstände etwas zu finden, was Sie nicht in sich selber tragen, reisen Sie von sich selbst weg und verlieren sich im Äußeren. Doch Sie werden bald wieder die Umstände beschuldigen, die wiederum nicht so beschaffen sind, dass Sie sich wohl fühlen. Aber:
Kein
Chef ist dafür da, Sie glücklich zu machen.
Wenn Sie mit Ihrer |62| Arbeits- und Lebenssituation unzufrieden sind, dann haben Sie vergessen, für Ihre Wahl Verantwortung zu übernehmen.
Wer so denkt, hat außerdem vergessen, dass immer etwas am Ideal fehlt. Er könnte die Arbeit, die er hat, zur einzig richtigen für sich machen. Aber das verhindert seine prinzipielle Suchhaltung. Schon bald hat er wieder das Gefühl, Entscheidendes zu versäumen. Dass das wahre Leben woanders stattfindet. Dass er am falschen Bahnhof steht. Wer außerhalb seiner selbst sucht, wird sogar den tollsten Beruf der Welt allenfalls für den zweitbesten halten. Suchen ist seine Einstellung. Nicht Finden. Nach einiger Zeit wird er weiterreisen: Reisen ist des Narren Paradies, sagt Ralph Waldo Emerson.
Bewusst wählen
Was das Wählen so schwer macht, ist der Verzicht auf die abgewählte Möglichkeit. Das ist die allen bekannte Situation der
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