Das Prinzip Selbstverantwortung
nicht-perspektivische Unternehmenskultur, die auf Eindeutigkeit, Sinn-»Vermittlung« und »klaren Verhältnissen« zu gründen glaubt, sind selbstbewusste und autonome Persönlichkeiten die Pilzkulturen der Anarchie. Sie bevorzugen daher statische, |133| hierarchische Herrschaftsformen. Die Untertanen »unterwerfen« sich der Obrigkeit. Sie sollen im Ganzen »aufgehen«. Das war vor allem die Ideologie des Kommunismus, jener vom Sozialressentiment heiliggesprochenen Ausbeutung. Ihr Zentralbegriff ist die »Identifikation«.
Der Rückgriff auf ein ent-individualisierendes »Aufgehen« und das Aufrechterhalten vorrationaler Gemeinschaftsideen untergräbt jedoch jede Form der Selbstverantwortung. Um es deutlich zu sagen:
Commitment ist nicht Identifikation.
Wer sich identifiziert, wie es in der umgreifenden Kultur der Mitarbeiterirreführung immer wieder gefordert wird, ist »außer sich«. Identifikation hat einen erheblichen Anteil Selbstverneinung. In einer symbiotischen Verschmelzung verschwimmen die Ich-Grenzen zugunsten einer »größeren« Einheit. »Ich opfere mich für das Unternehmen auf«, heißt es dann. Entsprechend konsequent ist das Opferbewusstsein vieler Mitarbeiter.
Sie sind damit bereit für vielerlei Enttäuschungen – immer dann, wenn das idealisierte Größenbild von »ihrem« Unternehmen den Erwartungen nicht entspricht. Das konnte man sehr gut am Beispiel von Bosch oder Henkel erleben, deren patriarchalische Unternehmenskulturen durch die Entlassungen ab 1992 zu grundstürzenden Irritationen bei der Mitarbeiterschaft führten: »Eine Welt bricht zusammen.« Bekannt ist überdies aus der Organisationspsychologie, dass die Aufforderung, sich mit Aufgaben, Produkten oder gar dem ganzen Unternehmen zu identifizieren, zu Identitäts- und Sinnverlusten führt, wenn die Produkte vom Markt genommen oder die Teams aufgelöst werden.
Eine perspektivische Unternehmenskultur – wie hier vorgeschlagen – erkennt jeden einzelnen Mitarbeiter als ein individuelles Gegenüber zum Unternehmen. Zu ihrer Sprachwelt gehören Kreativität, Flexibilität, Organismus, Dynamik. Ihr Zentralbegriff ist die
Beziehung
. Sie vermittelt zwischen dem depersonalisierenden Aufgehen im großen Ganzen und der entscheidungslosen Beobachterposition. Eine Beziehung entscheidet sich
dafür
, |134| übernimmt Verantwortung, sie nimmt teil. Aber sie nimmt sich »ihren Teil«, d. h. sie besteht auf der Einhaltung klarer Ich-Grenzen, die gleichzeitig die Verhandlungsgrenzen markieren.
Die Fähigkeit zur Distanznahme steigert die Handlungskompentenz. Das erst schafft Übersicht und Entschiedenheit. Ihre Basis ist bewusste Wahlfreiheit. Aber auch die Wahl der Zugehörigkeit: inbegriffen ist damit ebenso ein Stück Furcht vor Verlust und Ausschluss (viele MBA-Jobhopper lassen es daran missen). Das Wir-Gefühl entsteht dann aus der entschiedenen Zustimmung zum gemeinsamen Spiel und den vereinbarten Spielregeln. Es ist insofern eine Art innerbetrieblicher
Verfassungspatriotismus
.
Eine mündige, selbstbewusste Entscheidung für ein Unternehmen: Dort sind wir Verhandlungs-Partner. Dort werden wir respektiert und ernst genommen. Die Ordnung schafft der Ausgleich zwischen Geben und Nehmen.
Nur in einer Beziehung kann Pflicht zur Selbst-Verpflichtung werden. Nur in einer Beziehung kann Verantwortung zur Selbst-Verantwortung werden. Nur in einer Beziehung ist ein stabiles, langfristiges und selbstbewusstes Commitment möglich. Wenn es Ihnen also um Commitment und Selbstverantwortung geht: es gibt sie nur in einer perspektivischen Unternehmenskultur.
|135| PRAGMATISCHES HAUPTSTÜCK
Bei der Marketing-Konferenz eines großen Getränkevertriebs stehen wie immer Konferenzkühler mit Erfrischungsgetränken auf dem Tisch. Bald bemerkt man, dass die Öffner fehlen. Der Geschäftsführer raunzt den Marketingleiter an, er habe dafür zu sorgen, dass seine Mitarbeiter dafür zu sorgen hätten …
Einverstanden, die Mitarbeiter sind selbst verantwortlich. Aber ist die Führungskraft nicht ebenfalls verantwortlich? Die Position dieses Buches lautet: Ja, aber nicht dafür, Öffner in den Kühler zu stecken oder Mitarbeiter dazu anzuleiten, sondern einen Rahmen zu schaffen, der dem Mitarbeiter hilft, sich selbst zu verpflichten, eigeninitiativ zu werden, Commitment für seine Leistung zu geben.
Denn Selbstverantwortung benötigt soziale Voraussetzungen. Es fällt leichter, wenn der Einzelne nicht völlig allein dasteht, wenn er sich von einigen
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