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Das Prinzip Selbstverantwortung

Titel: Das Prinzip Selbstverantwortung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard K. Sprenger
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moralschweren Vorbild-Substitute, in der nicht die Führungskräfte angewiesen werden, in ihrem gesamten Handeln – ja, eben: Vorbild zu sein.
    Nun war der Rückgriff auf Vorbilder schon immer ein Kind der Verunsicherung. Insbesondere Ermüdungs- und Schwächephasen induzieren regelmäßig die heftige Nachfrage nach Männern mit Follow-me-Aura, die als einzelne die Überschau haben oder zu haben vorgeben. Sie sollen als Über-Ich mit suggestiver Kraft die Unsicherheit der Gruppe ausgleichen (ach, unser Knirpstum!), Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit ausstrahlen. Man will ja schnell sein; man will ja vorankommen; man will ja keine Zeit verlieren.
    Warum gerade heute dieser organisationspsychologische Salto rückwärts? Die neue Unübersichtlichkeit, die neue Beliebigkeit machen orientierungslos. Auf die gesamtgesellschaftliche Werteerosion und aktuelle wirtschaftliche Schief lagen reagieren viele Unternehmen mit einer alt-neuen Eliteorientierung, mit dem rückwärtsstabilisierenden Auftürmen von Wertepyramiden. Die aktuelle Konjunktur von Benimm- und Knigge-Trainings für den knitterfreien Marktauftritt postmoderner Manager ist kein Zufall. Hier spricht die Krise.
    Aber nicht nur diese: Wenn ich in Führungsseminaren die Teilnehmer frage, was denn aus ihrer Sicht das wichtigste beim Führen sei, kommt mehrheitlich die Antwort: »Vorbild sein!« Und bei einer großen Stadtsparkasse, deren einhundertfünfzig Führungskräfte angaben, welche Eigenschaften sie bei einer Führungskraft für unentbehrlich hielten, fiel die Wahl ebenso unmissverständlich aus: Führungskräfte hätten Vorbild zu sein, zuallererst
fachlich
, sodann, nachrangig, aber kaum weniger wichtig,
menschlich
. (Oft habe ich den Eindruck, sie meinen nur |140| »länger arbeiten«. Wenn man Führungskraft wird, gibt man offenbar seine Leidensbereitschaft zu erkennen.)
    Anstrengende Eitelkeiten
    Fachliches Vorbild? Wer das fachliche Vorbild zu seinem beruflichen Lebensideal kürt, hat heute einen dornenreichen Lebensweg. Die Halbwertzeit der Fachkompetenz verkürzt sich auf allen Gebieten dramatisch. Wir gehen heute davon aus, dass sich das Menschheitswissen etwa alle 4 ½ Jahre verdoppelt. Über 90 Prozent der Wissenschaftler, die je auf dieser Erde gelebt haben, leben heute noch. Wer unter diesen Bedingungen fachliches Vorbild sein will, dem wird der ständige Druck im Nacken Rückenschmerzen verursachen. Diesen Wettlauf zu gewinnen ist unmöglich. Man kann nicht ein Orchester dirigieren und gleichzeitig die erste Geige spielen (außer man heißt Johann Strauß; aber das war gestern).
    Natürlich sollte eine Führungskraft nach wie vor wissen, welches Spiel da in ihrem Bereich gespielt wird. Zweifellos sollte sie sich auch fachlich weiterbilden. Aber »Vorbild«? Wieso hat sie überhaupt Mitarbeiter? Ach so, sie hat ein Zeitproblem; am liebsten würde sie alles allein machen. Jedenfalls wird das Maximum an Exzellenz durch sie selbst definiert. Das wird zwangsläufig zur Verkrampfung führen. Der Burn-out wartet. Armer Chef! Aber wir wissen ja: Die genuine Form des Helden ist die Tragödie. Und noch die wenigsten zum Vorbild Hingestellten sind zu Lebzeiten ihres Ruhmes froh geworden. Diese Manager sind die Krone der Erschöpfung.
    Besser-Wisser
    Man könnte nun sagen, das ist das Problem des Einzelnen. Für das Unternehmen aber wird es prekär, wenn das nach wie vor hochdynamische Peter-Prinzip den besten Schraubendreher zum Chef aller Schraubendreher macht. Das Unternehmen hat dann meistens |141| zwei Probleme: einen guten Schraubendreher weniger und eine schwache Führungskraft mehr. Die exekutiert dann Taylors »One best way of Schraubendrehen«, nämlich ihren eigenen, den vorbildlichen, an den Mitarbeitern, nicht nur als Vorbild, sondern als Vor-Schrift: »Seht her, auf diese Weise bin ich doch so erfolgreich geworden!« Ein solcher Chef ist für seine Mitarbeiter eine stetig sprudelnde Quelle der Demotivierung. Er zieht als Ober-Schraubendreher und Besserwisser alle runter, die es anders, nämlich auf ihre eigene Weise machen wollen. Dies wird besonders problematisch, wenn man sich vorstellt, auf welche Chefs die im Vergleich zu früher hochindividualisierten und immer besser ausgebildeten jüngeren Jahrgänge stoßen.
    Mehr noch und am wichtigsten: Aus den Suchscheinwerfern des »lernenden Unternehmens« fällt ein schiefes Licht auf die Vorbild-Prosa deutscher Führungskulturen. Das Vorbild will es nämlich nicht nur
sein
– es will es

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