Das Prinzip Selbstverantwortung
anzustacheln: das ist der unverblümte Kuhhandel, der die Glaubwürdigkeit meuchelt.
Nicht wenige Führungskräfte haben in der Tat die Vorbild-Zumutung derart verinnerlicht, dass sie geradezu als wandelnde Laienschauspieler ihrer selbst daherkommen, reduziert auf eine von außen an sie herangetragene, prototypisch-gestanzte Erwartung, geronnen zu Typen, fast entmenschlicht – und damit auf eigenartige Weise tot. Der Rekurs auf Vorbilder hat nämlich etwas genuin Nachrufhaftes. Wie heißt es doch gleich? »Er wird uns immer ein Vorbild sein.« Das ist die Diktion von Todesanzeigen. Ein zu Lebzeiten Verstorbener, zum Charakterpanzer erstarrt, damit handhabbar für Zwecke. Früher hieß das: »Für Deutsche in verzagter Zeit.« Heute: »Es tut not (!), die wahren Unternehmer |144| öffentlich sichtbar zu machen.« Oder: »Was wir brauchen, sind Führungskräfte mit visionärer Kraft, die ihren Mitarbeitern den Sinn ihrer Arbeit vermitteln.« Hurra! Alle ihm nach! Nur ein Toter kann seinen Dienst als Vorbild überhanglos leisten, ohne das Bild durch Allzumenschliches zu trüben. Sprühende Lebendigkeit macht Brüche sichtbar. So aber strahlt der Grabstein. (Na ja, wer eher stirbt, ist länger tot.)
Ob das Martyrium etwas nützt, ist zweifelhaft; dass es schadet, steht fest. Es liegt auf der Hand, dass die damit einhergehende Verdrängung und Selbstkasteiung ein nicht geringes Aggressionspotenzial zu mobilisieren vermag. Unter dem dauernden normativen Zwang kommt es zu einer Selbst-Entfremdung, die in wesentlichen Teilen die kommunikative Brutalisierung in unseren Unternehmen zu erklären vermag. Das Ergebnis: die »Nach-uns-die-Sintflut«-Mentalität auf vielen Manager-Etagen. Und die Wüste wächst.
Managing as Parenting
Wer ein Vorbild braucht, für den besteht keine Notwendigkeit für die mühevolle Anstrengung, herauszufinden, was er selbst eigentlich denkt. Kein Vergleich, kein Abwägen von Vor- und Nachteilen, keine Rechtfertigung des Inhalts, der Ziele, der Überzeugung ist hier am Platze. Nur die Empfehlung zur Nachahmung. Das ist nur konsequent. Denn das Vorbild-Denken kommt aus dem »Erziehungs«-Kontext. In einem Führungshandbuch, das 1994 immerhin in der 3. Auflage erschien, steht zu lesen: »Ein guter Chef brüllt nicht bei jeder Gelegenheit seine Mitarbeiter an, sondern erzieht durch Vorbild.« Unabhängig davon, dass dieser Satz mir Übelkeit verursacht: Da ist er, der Erziehungskontext, in dem unmündige Kinder »erzogen« werden sollen, die auf Werte schauen, die andere für sie festsetzen, nach Maßstäben, die andere für sie aufstellen. Er perpetuiert das Modell-Lernen des Eltern-Kind-Verhältnisses. Infantilisierung als Führungsprinzip. Da ist es nur folgerichtig, wenn in einem der größten deutschen Chemieunternehmen die Verbesserungsvorschläge von weiblichen Mitarbeitern mit Kosmetikspiegelchen prämiert werden.
|145| Psychologisch richtet sich das Vorbild aus einer gütigen Elternrolle an das angepasste Kind in uns. (Im Privaten ist man so oft genau das geworden, was man am wenigsten sein wollte: das Abbild der Eltern.) Unausgesprochen werden die Prinzipien der Kindererziehung auf Führung übertragen – wie ohnehin viele Manager reflexhaft beide Bereiche analogisieren. Und dies bildet sich in der Entmündigungskultur vieler Unternehmen ab: Managing as Parenting.
Eine von Vorbildern (gleich welcher Art) gestützte Unternehmenskultur differenziert die Mitarbeiterschaft dabei in zwei Teile: einen, der das Vorbild ist oder es künstlich erstellt, und einen, der nicht so vorbildlich handelt und der das Vorbild ganz offensichtlich braucht (letzterer Teil ist die Mehrheit). Das heißt im Klartext: Es gibt in unserem Unternehmen viele Mitarbeiter, die ein Vorbild zum Nacheifern brauchen. Die Rede vom Vorbild disqualifiziert einen Teil der Mitarbeiter (den größten!) als eines Vorbildes bedürftig. Spürt noch jemand die Anmaßung, die diese Unterscheidung beinhaltet? Spürt noch jemand die Entmündigung in der Absicht, uns ein Vorbild zum Hinterherlaufen vorsetzen zu können?
Aber die Wirkung auf Produktivität und Motivation hat eine ironische Wende: Die Größe des einen besteht nämlich nur darin, dass der andere ihm seine Kleinheit als Geschenk darbringt. Das Vorbildliche des einen reicht nicht; es muss der andere – damit das Vorbild sichtbar wird – ihm seine Mängelhaftigkeit gleichsam zu Füßen legen.
So wie manche nur deshalb groß erscheinen, weil die
anderen sich ducken.
Und
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