Das Prinzip Terz
erschwinglich – eines der weniger hübschen Einfamilienhäuser mit sattgrünen Gärten ziehen sollten. Den Ausschlag für den Eppendorfer Dachboden hatte dann jedoch der für die Lage ungeheuer günstige Preis gegeben.
Ramscheidts Haus in der Bernadottestraße war eine blassgelbe Fachwerkvilla vom Ende des 19. Jahrhunderts. Aus dem Garten hörten sie Lachen, Stimmengewirr, Gläser.
Ramscheidt begrüßte sie im Sportjackett, braun gebrannt, mit weiß strahlenden Zähnen. Er stellte ihnen seine Frau Wibke vor, eine unscheinbare Person mit aschblonder Prinz-Eisenherz-Frisur und freundlichem Lächeln, die zehn Jahre älter als ihr Mann wirkte.
Ramscheidt begleitete Elena mit einer vertraulichen Berührung am Arm in einen anderen Teil des Gartens.
»Sie entschuldigen«, sagte er über die Schulter zu Terz, »wir müssen noch kurz über Geschäftliches sprechen.«
Entschiedener, als Terz ihr das zugetraut hatte, zog Wibke Ramscheidt den Kommissar zu anderen Gästen und führte ihn ein.
Eine sehr blonde Immobilienmaklerin und ihre schmuckbehangene Freundin erkannten Terz. Ihr Begleiter lächelte ihn steif an. Die Maklerin fragte mit hoher Stimme:
»Oh, Herr Kommissar, dieser furchtbare Mord an Winfried Sorius, weiß die Polizei da schon etwas?«
»Kannten Sie ihn?«
»Nur vom Sehen«, musste sie zugeben. Also aus den Klatschspalten.
»Gibt es denn schon Verdächtige?«, wollte ihre Freundin wissen.
Eine neben ihnen stehende Gesprächsrunde hatte zugehört und schloss sich den neugierigen Blicken an.
»Halb Hamburg kannte ihn. Halb Hamburg ist verdächtig.«
Die Runde lachte aufgeregt. »Wir auch. Wir kannten ihn ja auch. Aber nur vom Sehen. Na ja, das gilt nicht. Wer weiß. Frag den Herrn Kommissar.«
Aus den Augenwinkeln suchte Terz Elena. Die Kontur ihrer schlanken Figur verschmolz fast mit dem Schatten eines Baumes, nur die Perlen am Hals blitzen, sie trank aus einem Sektglas und plauderte angeregt mit Ramscheidt.
Die blonde Maklerin berichtete Terz redefreudig von ihren Erfahrungen mit der Polizei anlässlich einer Verkehrskontrolle, dann kam sie wieder auf Sorius zu sprechen. Terz fischte sich zwei Brötchen von einem Tablett, das Wibke Ramscheidt vorbeitrug, um nicht antworten zu müssen. Dazu trank er mehr Wein, als er durfte, wenn er noch selbst nach Hause fahren wollte. Er war umringt von sensationslüsternen Vorstädtern in Cocktailkleidchen und Sommeranzügen. Obwohl er alle überragte, konnte er Elena nicht mehr sehen.
»Wundert mich ja nicht, dass es diesen notorischen Frauenheld erwischt hat«, bemerkte ein groß gewachsener Mann mit rahmenloser Brille.
»Schade für die Frauen«, antwortete Terz. »Helden gibt es so selten, finden Sie nicht?«
»Aber ist so jemand denn ein Held?«
»Das haben Sie behauptet.«
Der andere lachte. »Touché.«
Das Gespräch verlagerte sich zum Wetter und weiter zur aktuellen Stadtpolitik. Zur entstehenden Hafencity spalteten sich die Meinungen, wobei die Ablehnung überwog, auch wenn sie sich mehr gegen die geplante Architektur als das Projekt an sich richtete. Wie neuerdings häufig, fragte man sich, ob Hamburg langsam in der Bedeutungslosigkeit versinken würde, nachdem in den letzten Jahren viele wichtige Firmenzentralen in Deutschlands neuen Nukleus Berlin abgewandert waren. Wie ein Staubsauger zog die altejunge Hauptstadt Geld und Menschen an. Statt davon zu profitieren, gelang es ihr jedoch trotzdem, völlig überschuldet zu sein. Lange hatten die Hamburger Stadtoberen dem Exodus tatenlos zugesehen. Nun versuchte man, die Firmen mit finanziellen Anreizen zu halten. So man es sich leisten konnte. Immerhin verbuddelte man so gewaltige Teile des Stadtvermögens in einen Ausbau des Airbuswerkes, dass Spötter meinten, man könnte die Geldscheine direkt in die Elbe werfen. Oder man solle das Geld den Menschen, die dadurch Arbeit bekämen, gleich bar in die Hand drücken. Auch von der Hafencity hatte man noch nicht gehört, dass sie eine Geldflut in die Stadtkassen gespült hätte. Und während die Bauunternehmer einen neuen Ferrari bestellten, konnte die Stadt aus Geldmangel nicht einmal jedem Kind arbeitender Eltern eine Tagesbetreuungsstelle verschaffen. Wie viele andere Hamburger ärgerte Terz sich über das Ungleichgewicht der Verhältnisse, auch wenn sie für ihn selbst und die Anwesenden in Ramscheidts Garten kein Problem darstellten. Hier waren die Menschen, die sich Kinder- und Au-pair-Mädchen, Tagesmütter oder Leihgroßmütter und später
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