Das Prinzip Terz
Einrichtungshaus umgebauten ehemaligen Malzfabrik parkten und rangierten zusätzlich späte Shopper, was den Stau noch zäher machte.
Die flussabwärts anschließenden Areale hinter den neuen Fischmarkthallen hatten die längste Zeit nicht mehr geboten als Elbblick, bis man während der Boomzeit um die Jahrtausendwende damit begonnen hatte, sie mittels glas- und stahlverkleideter Allzweckbauten gewinnbringender zu nutzen. Seither sah man den Fluss nur mehr als Mieter eines wasserseitig gelegenen Büros oder Luxusapartments, oder als Gast eines der neuen Restaurants, die diesen Blick in ihre Menüpreise großzügig einkalkulierten.
Eines davon war das »Au Quai«, in dem Terz mit fast halbstündiger Verspätung eintraf. Er entdeckte zuerst Ramscheidt an dem Terrassentisch in der ersten Reihe. Elena wandte ihm den Rücken zu. Ihr neuer Auftraggeber winkte Terz dezent zu, und Elena drehte sich um.
Mit ein paar Floskeln über den herrlichen Abend und die gegenseitige Freude über das unverhofft baldige Wiedersehen, garniert von ein paar Komplimenten Ramscheidts für Elena, war der Abend eröffnet. Terz überflog die Karte und entschied sich für eine Vorspeise, die trotz der kunstvollen Beschreibung als gemischter Salat identifizierbar war. Danach reizte ihn der Kabeljau im Bananenblatt mit Eukalyptus, Frühlingsgemüse und Schalottenmarmelade, wenn auch mehr aus einer plötzlich und für ihn ungewöhnlichen Anwandlung kulinarischer Tollkühnheit. Von der wusste er, dass sie nicht bis zum Eintreffen der Mahlzeit anhalten würde, deshalb entschied er sich für ein Rinderfilet »auf dem Schiefertablett«. Und eigentlich könnte er einen Teller statt des albernen Steins unter dem Fleisch bestellen. Das ließ er dann aber doch bleiben.
»Ein wunderbarer Abend«, schwärmte Ramscheidt, und Terz begann sich ob der Plattitüde schon zu langweilen. »Schön, dass Sie auch Zeit gefunden haben, Herr Kommissar. Sie müssen jetzt viel zu tun haben, wie heute zu lesen war.«
»Für ein gutes Essen ist immer Zeit«, erwiderte Terz und dachte, dass er höflicherweise »nettes Essen« hätte sagen müssen, aber er fand Ramscheidt nun mal nicht nett. »Sie und meine Frau können ja auch hier sitzen. Sie haben keinen Stress, kann ich daraus schließen.«
»Ja, Ihre Frau und ich«, und dabei tätschelte er Elenas Hand! »Wir haben heute viel weitergebracht.«
Mit einer eleganten Bewegung entzog Elena sich seinen Fingern.
»Ich habe ja bis jetzt nicht ganz verstanden, was Sie da eigentlich macht«, gestand Terz.
Ramscheidt lachte. »Zahlen, Zahlen, Zahlen. Sterbenslangweilig.«
»Danke«, bemerkte Elena schnippisch.
»Um Gottes willen«, sagte Ramscheidt bestürzt und aktivierte seine Tätschelhand, »ich wollte nicht sagen, dass du langweilig bist!«
Man war also schon beim Du.
»Im Gegenteil! Herr Kommissar, Sie wissen, dass Sie um Ihre Frau zu beneiden sind.«
»Nicht doch! Neid ist eine so hässliche Sache neben einer so schönen Frau.«
Der Kellner servierte die Vorspeisen auf Tellern, die Terz’ Salat ein wenig verloren wirken ließen. Ramscheidt stürzte sich auf etwas, das Tintenfischcarpaccio sein sollte, und Elena hatte sich – dem Geruch nach – wohl für ein Fischsüppchen mit Knoblauch entschieden. Sie würde morgen ein starkes Parfum brauchen.
»Haben Sie eigentlich schon über Göstraus Angebot nachgedacht, dessen unfreiwilliger Zeuge ich letztens bei Meyenbrinck wurde?«
Erst nach einer Denksekunde fiel Terz ein, wovon Ramscheidt sprach.
»Nein, ich hatte noch keine Zeit.« Und noch ein paar Floskeln, um das leidige Thema zu beenden: »In die Politik zu gehen, bedeutet eine große Verantwortung. Abgesehen davon findet meine Frau Politiker und Politik furchtbar.«
»Du und Politiker?«, lachte Elena. »Könnte ich mir eigentlich ganz gut vorstellen. Du verdienst ein Spesenvermögen, bist nie zu Hause, und ich habe Zeit für meine Liebhaber.«
»Den Skandal würdest du mir hoffentlich ersparen.«
»Das Spesenkonto oder dass du nie zu Hause bist?«
»Also keine Politik«, konstatierte Ramscheidt kauend.
»Ich glaube, vorläufig bleibe ich noch bei den einfachen Verbrechen.«
»Vier Tote finden Sie einfach? Aber ich möchte Sie nicht belästigen, wahrscheinlich wollen oder dürfen Sie gar nicht darüber reden.«
Terz winkte ab. Er hatte sein Grünzeug und zwei Brötchen mit drei Bissen erledigt. »Hat ohnehin schon alles in der Zeitung gestanden.«
»Und einer der Toten war sogar Ihr Nachbar!«
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