Das Prinzip Terz
besten Fall hatte Terz einen Tag gewonnen. Wenn er Fodl dann nichts präsentierte, würde dieser unweigerlich über Terz schreiben. Welche anderen Journalisten Söberg wohl noch informiert hatte? Die meisten würden Terz auf jeden Fall anrufen, um eine Stellungnahme von ihm zu erhalten. Nicht auszuschließen war aber, dass einer die Geschichte auch ohne Terz’ Reaktion veröffentlichte.
Er zahlte und fuhr zum Flughafen.
»Kaffeeweißer. Kannst du das verstehen? Kaffeeweißer. So nennen sie das. Schau her.« Seine Mutter streckte ihm das Briefchen mit dem Lufthansa-Logo vor die Augen.
»Mutti, ich muss mich aufs Fahren konzentrieren.«
»Kaffeeweißer. Ich will Milch oder Sahne in meinen Kaffee. Nicht Weiß. Dann könnte ich ja auch Kalk hineinstreuen. Oder Babypuder. Und wenn sie schon keine Milch oder Sahne servieren, dann könnten sie wenigstens so tun, als ob! Mir wenigstens die Illusion lassen, dass ich etwas wie Kaffee mit Sahne oder Milch bekomme. Aber nein, Weißer. Auf Englisch heißt es Coffee-Creamer. Schreiben sie auch noch drauf. Die Engländer, oder die Amis, egal, die wissen wenigstens, wie man einem seine Illusionen lässt.« Sie ließ das Wort auf der Zunge zerschmelzen. »Coffee-Creamer. Aber Kaffeeweißer! Das ist so typisch. So lieblos. Mit welcher Freude ich diesen furchtbaren Kaffee trinken würde. Du schreibst doch, kannst du dir nicht einmal ein schöneres Wort überlegen, ein appetitlicheres?«
»Ich schreibe Sachbücher über Sicherheit.«
»Papperlapapp, du verkaufst den Menschen erfolgreich ein gutes Gefühl, und das schaffst du nur, weil du populär formulierst.«
»Was willst du denn statt Kaffeeweißer schreiben? Trockensahne?«
»Trockensahne! Das machst du absichtlich. Das ist ja fast so schlimm wie Kaffeeweißer. Sahne. Trocken. Junge! Streng dich an!«
»Wie war es eigentlich in München?«
»Wie wäre es mit ›Feine Sahne‹? ›Fein‹ greift die Form des Pulvers auf, aber auf eine angenehme Weise, und ›Sahne‹ ist ohnehin gut. Warst du im Haus?«
»Natürlich.« Zum Glück waren sie bald in Ahrensburg.
»Garten? Zimmerpflanzen? Alles in Ordnung? Irgendetwas Ungewöhnliches?«
»Nein.«
»Was macht dein Fall? Ich habe davon in der Zeitung gelesen.«
»Wir kommen voran.«
»Du könntest mir ruhig etwas mehr erzählen. Steckt sicher eine Geldsache dahinter. Ich sag dir das. Was hältst du von Delikatmilch?«
»Klingt wie Kondensmilch. Nachkriegsprodukt.«
Ein kurzer Moment Nachdenklichkeit. »Stimmt.« Sie sinnierte einen weiteren – kurzen – Moment. »Feine Sahne. Das kann ich mir schon einmal merken. Haben die Kinder meine Unterlagen verteilt?«
»Natürlich nicht!«
»Findest du die Idee so schlecht?«
Geld regiert die Welt. Wie weit waren wir gekommen, wenn sogar seine Mutter den Neoliberalismus als Waffe entdeckte.
»Die Idee ist mir egal. Aber du kannst doch nicht zwei Grundschulkinder zu deinen Vereinssoldaten machen.«
»Wieso? Die Friedensbewegung und die Pfadfinder tun das doch auch.«
»Kim und Lili sind weder bei der einen noch bei den anderen.«
»Du findest die Idee schlecht.«
»Mutti, du kannst alle Ideen dieser Welt haben und sie verfolgen – das tust du ohnehin –, aber lass bitte die Kinder aus dem Spiel.«
»Glucke. – Brauchst gar nicht so zu schauen. Glucke. In München fanden sie die Idee übrigens auch Klasse. Wir haben schon eine Ortssektion gegründet. ›Geld regiert die Welt‹ wird bald Deutschland regieren, wirst schon sehen.«
Geld regiert Deutschland längst, dachte Terz. Ich bin das beste Beispiel dafür.
»Sag, Mutter, für so einen Verein brauchst du doch Leute, die sich mit Geld auskennen …«
»Ha, habe ich massig. Steuerberater, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, die meisten gelangweilte Rentner wie ich.«
»Glaubst du, die hätten Lust auf ein kleines Abenteuer?«
»Alles, was über ein Birdie beim Golf hinausgeht, ist für die ein Abenteuer. Wenn du also was zu bieten hast, dann her damit.«
Bereits der Einsatzwagen in seiner Straße ließ nichts Gutes ahnen. Noch weniger die Journalisten. Als Terz sie sah, war es zum Ausweichen zu spät. Er bewahrte sein Lächeln, während er sich einen Weg zwischen Blitzlichtern und Kameras bahnte. Fragen prasselten auf ihn ein. Wie Fodl wussten sie bereits über alles Bescheid! Er gab ein paar Floskeln von sich und ließ keinen ins Haus. Als er aus dem Lift trat, hörte er den Lärm in der Wohnung. Eine aufgelöste Juliette empfing ihn, an deren Beinen sich
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