Das Prinzip Uli Hoeneß
nämlich, seinen Beruf nicht ernst genug zu nehmen. Als Hoeneß einmal versuchte, dem talentierten Stürmer die richtige Arbeitseinstellung einzubläuen, meinte der, dass für ihn der Spaß an erster Stelle stehe. »Das ist eine schwierige Diskussion gewesen«, resümierte ein ratloser Hoeneß. Nachdem er allmählich hatte einsehen müssen, dass er seinen Südamerikanern keine deutschen Tugenden würde einpflanzen können, stellte er ihnen schließlich in Aussicht, »den Kulturanteil ihrer Persönlichkeit« zu fördern. Wie das in der Praxis aussehen sollte, war ihm vermutlich selbst nicht recht klar. Zu sichtbaren Ergebnissen kam es jedenfalls nicht. Dass »nun etwa Spielfreude freigesetzt worden wäre«, urteilte der »Spiegel« über die Entwicklung des kulturangepasst gepamperten Santa Cruz, »ist indes kaum wahrzunehmen«.
Einen ernsthaften Versuch, den »Kulturanteil« in der Persönlichkeit mitteleuropäischer Profis fußballerisch fruchtbar zu machen, hat Hoeneß nie unternommen. Die deutsche Kultur sah er ganz offensichtlich vor allem in einem überdimensionierten Freizeitangebot repräsentiert, und das stellte – besonders in Form von Kneipen, Bars und Diskos – bei unkontrollierter Inanspruchnahme zuallererst ein Risiko für das Leistungsvermögen auf dem Fußballplatz dar. Selbst ein Oliver Kahn, das Urbild des Musterprofis schlechthin, war da einmal gefährdet. Als der Torwart-Titan mit neuer Freundin in aller Öffentlichkeit rauchend und trinkend durch die Diskotheken flanierte, konnte es Hoeneß kaum fassen und präsentierte sich erst einmal reflexartig als Kahn-Verteidiger. In der DSF-Sendung »Doppelpass« ging er heftig mit seinem ehemaligen Lehrmeister Udo Lattek ins Gericht, der Kahns spätpubertäres Verhalten angeprangert hatte. »Ihr stellt euch alle so an«, ereiferte er sich, »als ob ihr in eurem ganzen Leben keine Verfehlungen gemacht hättet.« Das seien alles Lappalien, und früher seien die Spieler auch »nie Kinder ohne Traurigkeit« gewesen. Lattek hatte die Tirade völlig cool ertragen und stieß Hoeneß dann in Pädagogen-Manier Bescheid: »Pass mal auf, Uli«, meinte er, »du kritisierst Dinge, die du selbst in deinem Leben nicht immer akzeptiert hast.« Am Ende schien es, als habe Hoeneß in seinem alten Lehrer seinen Meister gefunden. Ein seltenes Bild: Hoeneß kleinlaut schweigend, ein wenig betreten. Erst als ein zartes Grinsen um seine Mundwinkel spielte, wurde klar: Dieser Mann liebt den Zoff und kann es sogar ertragen, jedenfalls bei einem Gegner wie Lattek, wenn er mal nicht das letzte Wort hat.
Kahns Disko-Liebesgeschichte sollte den Verein noch jahrelang verfolgen, und Hoeneß sollte in diesem Fall weiterhin ungewohnt zurückhaltend bleiben. Kahn, das Motivationsvorbild auf dem Platz, hatte bei ihm offensichtlich einen Stein im Brett und durfte es sich daher sogar leisten, seinen Vergnügungstrieb ohne Scheu in der Öffentlichkeit auszuleben. In anderen Fällen, selbst wenn die ganz im Verborgenen blieben, verhielt sich der Manager des FC Bayern ganz anders, nämlich als oberster Tugendwächter. Der Verein, erklärte er im April 1998 der Presse, habe Detektive angeheuert, die den Lebenswandel der Bayern-Spieler überwachen sollten. Einen etwa zu tief gehenden Eingriff in die Privatsphäre sah er darin nicht, schließlich sei so etwas »in Italien gang und gäbe«. Ein Fall für die Detektive war zum Beispiel der junge Bastian Schweinsteiger, der im Frühjahr 2003 in einer Disko ertappt und aus disziplinarischen Gründen zu einer Zahlung von 15.000 Euro verdonnert wurde. Mit heller Empörung rekapitulierte Hoeneß das Vergehen: »Am Donnerstag vor dem Dortmund-Spiel, das hat er zugegeben, war er um halb vier noch in der Disko. Das heißt: Es kann auch vier oder halb fünf gewesen sein! Dann war er vielleicht um fünf zu Hause, und um zehn sind wir hier weggefahren – das heißt, er hat höchstens drei Stunden geschlafen!«
Für völlig inakzeptabel hielt Hoeneß nicht nur übermäßige Nachtschwärmerei, sondern auch falschen Umgang. »Ein Spieler braucht ein gutes Umfeld, nicht nur Claqueure, sondern auch kritische Freunde«, umschrieb er eine seiner Grundüberzeugungen. Wenn er einen Spieler von offenbar leistungshemmenden Einflüssen bedroht sah, reagierte er noch empfindlicher als bei übertriebenem Lob. Im Herbst 2003 nahm er ungeprüfte Informationen einer Boulevardzeitung zum Anlass, das Umfeld des zu dieser Zeit wegen Depressionen in stationärer Behandlung
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