Das Prinzip Uli Hoeneß
aufgehoben fühlt, auch auf dem Platz bessere Leistungen bringt«. In der Motivation durch Vertrauen, Freude und Identifikation, so könnte man es definieren, lag für ihn die höchste Kunst der Leistungsoptimierung. Für seinen FC Bayern erkannte er genau in diesem Bereich die Chance, Wettbewerbsnachteile gegenüber den europäischen Krösus-Vereinen auszugleichen: »Unsere Chance ist es, als Team aufzutreten, in dem jeder an seine Leistungsgrenze geht, jeder sich voll und ganz mit dem Klub identifiziert. Dafür bieten wir den Spielern eine große soziale Sicherheit, wir schmeißen nicht jeden raus, wenn’s mal grad nicht so läuft. Wir haben nicht die Fluktuation wie in anderen Klubs. Wir fordern nicht den Erfolg, wir fordern Leistung.«
Den Erfolg, das wusste Uli Hoeneß nur zu gut, kann man sich nur indirekt erarbeiten. Der Erfolg stellt sich ein, wenn die Kombination von Wohlgefühl und Selbstbewusstsein stimmt, wenn die Mannschaft an sich glaubt. Man muss in täglicher Intensivpflege und harter Disziplinierung an der psychischen Stärke arbeiten, erzwingen aber lässt sie sich nicht. Dem Erfolgsplaner bleibt allein der beständige Versuch, eine größtmögliche Leistungsbereitschaft herauszukitzeln, und überall dort, wo die Haltung der Spieler locker zu werden beginnt, die entsprechenden Motivations- und Einstellungsschrauben gleich Fußballstollen mit Nachdruck festzuziehen.
Von der Schwierigkeit, Druck zu erzeugen
Hoeneß’ Versuche, die Spieler dem gewünschten Leistungsniveau näher zu bringen, wirken in der Nachbetrachtung, entgegen seinen gelegentlichen theoretischen Ausführungen, ganz und gar nicht wie die Umsetzung einer durchdachten Strategie. Eher bieten sie das Abbild eines ratlosen Emotionsmenschen, der insbesondere nach blamablen Niederlagen mit wütenden Peitschenhieben eine widerborstige Brut zum Erfolg zu zwingen sucht. Einige Zitate aus 30 Jahren ohnmächtigen Manager-Zorns: »Knallhart bin ich nur zu dem, der Leistung bringen kann, aber nicht will«; »Ich sehe nicht mehr nur das Gute im Spieler«; »Der Charakter der Spieler macht mich krank«; »Ob man gewinnt oder nicht, das ist eine Willens- oder Charakterfrage«; »Ich gebe jedem Spieler zwei Monate, die Bereitschaft zur absoluten Leistung zu beweisen«; »Die Zeit der Zugeständnisse ist vorbei«; »Die Spieler müssen wieder gnadenlos unter Druck sein«.
Druck – das galt Hoeneß als Zauberwort seiner Erziehungsfibel, wenngleich er manchmal selbst Zweifel bekam, ob Druck immer das richtige Mittel ist. So etwa im Oktober 1994. »Ich habe meine Meinung zum Fußball völlig geändert«, verkündete er da. Er lasse sich nicht mehr verrückt machen, werde nicht mehr ständig kritisieren und Druck ausüben, sondern »viel mehr Geduld« aufbringen. Freilich war er mit seiner Geduld meist sehr rasch wieder am Ende. »Ich glaube, dass wir die Spieler viel zu brav behandeln«, kam er wieder zu bewährten Erkenntnissen zurück. »Das bringt nichts. Wir müssen sie härter anfassen.« Notfalls müsse man Zeit »von der Freizeit der Spieler abzwacken«, meinte er einmal, und das Trainingspensum erhöhen. Ach, wären doch alle so wie Oliver Kahn, mag er sich manchmal gedacht haben, wie jener Profi also, der gar nicht genug kriegen konnte vom Trainieren, nichts so sehr liebte wie den Druck und sich selbst so viel Druck machte wie kaum ein Zweiter. Als sich Kahn im Jahr 2008 verabschiedete, rief er ihn zum großen Vorbild für alle künftigen Generationen aus: »Viele junge Spieler müssen sich eine Scheibe abschneiden von dieser Besessenheit.«
Eine lasche Berufsauffassung ist in der Gefühlswelt des Uli Hoeneß geradezu der Gipfelpunkt aller vorstellbaren Sünden. »Wenn Mittelmaß, mangelnder Ehrgeiz und Sattheit zusammenkommen, bringt mich das auf die Palme.« Immer wieder bläute er seinen Profis ein: »Jeder muss wissen, dass er gegenüber dem Publikum eine Verpflichtung hat.« Und das hieß, mindestens, Leistungsbereitschaft und Willensstärke sowie Konzentration und Disziplin aufzubringen. Die einfachen Arbeiter auf den Rängen, so sah es Hoeneß, wollten auf dem Rasen Fußballer sehen, die ihre Arbeit mit hundertprozentigem Einsatz machen; viele Spieler wollten aber leider ihre Verantwortung nicht annehmen und könnten offensichtlich nicht verstehen, dass den Fans nach müden und miesen Spielen womöglich das Wochenende verdorben ist, oder gar die ganze Woche.
Eine besonders bittere Empörung regte sich beim Bayern-Manager immer
Weitere Kostenlose Bücher