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Das Programm

Titel: Das Programm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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Leib. Wer war dieser Mensch? Wo war er? Befand er sich noch im Zimmer?
    Der Gedanke ließ ihn aufspringen und alles absuchen. Er blickte hinter die Vorhänge, in den Schrank hinter dem Duschvorhang im Badezimmer. Natürlich war niemand da. Wieder setzte er sich aufs Bett und versuchte, seine Fassung wiederzugewinnen. Nach fünf Minuten, als sich das Zittern etwas gelegt hatte, rief er den Hotelmanager an.
    Der kam rasch und in seinem Kielwasser zwei uniformierte Polizeibeamte. Massige Männer, die mit der ganzen Ausrüstung, die an ihrem Gürtel hing, noch massiger wirkten. Die nüchterne Professionalität, mit der sie zu Werke gingen, wirkte zugleich einschüchternd und beruhigend. Sie machten sich Notizen. Ihr Interesse erwachte beträchtlich, als sie hörten, dass Lenka ein Mordopfer war, und ließ ebenso rasch wieder nach, als klar wurde, dass sich das Verbrechen in der Tschechischen Republik ereignet hatte, was Chris ihnen buchstabieren musste. Sie fragten ihn, ob er vom selben Mann angegriffen worden sei, der Lenka umgebracht habe.
    Chris dachte lange nach, bevor er antwortete. Die Kleidung war bei aller Ähnlichkeit anders gewesen. Der Schnurrbart hatte gleich ausgesehen. Er konnte sich nicht erinnern, in Prag langes, krauses Haar gesehen zu haben. Aber die Art, wie er lief, war Chris vertraut vorgekommen. Er hatte beide Männer davonlaufen sehen, und war jetzt sicher, dass es sich um ein und dieselbe Person handelte.
    Die Polizisten waren zwar nicht sicher, dass das eine eindeutige Identifizierung war, notierten es aber trotzdem. Knackend und knisternd meldete sich dann ihr Funkgerät, rief sie irgendwo zu einer Schießerei, und weg waren sie.
    Der Manager tat furchtbar betroffen, sagte, er habe keine Ahnung, wie jemand sich an der Rezeption habe vorbeischleichen und in sein Zimmer gelangen können. Chris nahm an, dass es ein Leichtes war. Der Manager gab ihm ein neues Zimmer, und Chris verlangte, dass das Hotel niemandem seine neue Zimmernummer geben würde. Der Manager versicherte es ihm tausend Mal und ging dann auch.
    Chris nahm ein Bad und ging zu Bett. Aber an Schlaf war nicht zu denken. Die Warnung ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Irgendjemand wünschte, dass Chris keine Fragen mehr stellte. Täte er es doch, würde man ihn wahrscheinlich umbringen. Und egal, von wem die Drohung ausging, schien diese Person durchaus in der Lage zu sein, sie wahr zu machen. Was konnte Chris also tun?
    Das Vernünftigste war, aufzugeben und nach Hause zu fliegen. Chris beschloss, seinen Flug nach Vermont zu stornieren und am folgenden Tag das erste Flugzeug nach London zu nehmen.
    Nachdem er diese Entscheidung getroffen hatte, hoffte er, seine Gedanken würden zur Ruhe kommen und ihm den sehnlich erwarteten Schlaf ermöglichen. Taten sie nicht. Tief in seinem Innern meldete sich eine Stimme und nannte ihn einen Feigling. Ein Subjekt ohne Rückgrat. Sie flüsterte Lenkas Namen. Chris versuchte, sie zu überhören, aber die Stimme wollte keine Ruhe geben. Sie sagte ihm, dass er vor einer wichtigen Entdeckung stehen müsse, wenn jemand zu solchen Mitteln greife, um ihn aufzuhalten. Vor einer Entdeckung, die mit dem Mord an Lenka zu tun haben müsse. Wenn er jetzt nicht klein beigäbe, würde er vielleicht herausfinden, wer für Lenkas Tod verantwortlich war, und dafür sorgen, dass derjenige seine Strafe bekam.
    Doch warum sollte er? Er war kein Held. Es war nicht seine Aufgabe, Verbrechen aufzuklären. Lenka war tot; egal, was er tat, er konnte sie nicht wieder zum Leben erwecken.
    Er wusste, was sein Großvater tun würde. Der würde sein Leben aufs Spiel setzen, um herauszufinden, was Lenka zugestoßen war, so wie er sein Leben fünfzig Jahre zuvor viele Male riskiert hatte.
    Doch sein Großvater war ein blindwütiger Fanatiker. Eine Nervensäge.
    Was hätte sein Vater getan, fragte die Stimme. Selbst dieser ruhige Mann mit seinen festen Grundsätzen hätte nicht den Schwanz eingezogen. Als er abtrünnig geworden war, hatte dieser Schritt Mut verlangt. Und es war mutig von ihm gewesen, unter seinen konservativen Landsleuten in Halifax an seinen Idealen festzuhalten. Und was war mit seiner Mutter? Der Frau, die so viele Schwierigkeiten auf sich genommen hatte, um ihm und seiner Schwester jede nur mögliche Chance zu eröffnen? Niemals würde sie kneifen und nach Hause fliegen.
    Er hatte diese Menschen hinter sich gelassen, als er auf die Universität und dann ins Investmentgeschäft gegangen war. Er hatte

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