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Das Programm

Titel: Das Programm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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die Absicht gehabt, jemand anders zu werden, jemand, der besser, erfolgreicher, wohlhabender und, ja, englischer war. Aber es hatte nicht so ganz geklappt: Zwar hatte er zumindest sich selbst bewiesen, dass er ein guter Wertpapierhändler war, dass er richtiges Geld verdienen konnte, dass er die Augen verschließen konnte vor den alltäglichen Betrügereien von Leuten wie Ian Darwent oder Herbie Exler. Doch dann hatte ihn das System ausgemustert, zu Unrecht auf den Müllhaufen geworfen, auf dem die ausgebrannten, von Alkohol und Drogen zerstörten Investmentbanker landen.
    Er hatte die Wahl. Entweder er blieb in der Welt von Bloomfield Weiss und George Calhoun, oder er tat, was seine Eltern, sein Großvater und Lenka an seiner Stelle getan hätten.
    Wenn er noch weiter mit sich selber leben wollte, egal, wie kurz das Leben sein mochte, gab es nur eine Entscheidung. Sobald er sie getroffen hatte, fiel er in tiefen Schlaf.

12
    Er hatte Angst, als er wach wurde. Er war zwar noch immer sicher, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte, aber er fürchtete sich vor den Folgen. Chris war stolz auf seine Fähigkeit, Risiken einzuschätzen. Und er wusste genau, dass seine Furcht nur zu berechtigt war.
    Allerdings hatte er einen gewissen Spielraum. Er war so lange sicher, bis sein Gegner, wer immer das sein mochte, erkannt hatte, dass er, Chris, sich nicht einschüchtern ließ. Je länger die Gegenseite der Meinung war, er habe aufgegeben, desto länger seine Galgenfrist.
    Er frühstückte in der Sicherheit seines Hotelzimmers und packte. Vor dem Hotel nahm er ein Taxi, das sich langsam in Richtung Lincoln Tunnel durch den dichten Verkehr schob. Als das Taxi über eine Ampel fuhr, die gerade von Grün auf Rot umschaltete, bat Chris den Fahrer, nach Norden abzubiegen. Er blickte über die Schulter zurück. Die Straßen waren voller Wagen, die in alle Richtungen fuhren. Wenn ihm jemand folgte, hatte er ihn vielleicht abgehängt, vielleicht auch nicht. Er wies den Fahrer noch mehrere Male an, nach links und rechts abzubiegen, bevor er ihn die Tenth Avenue Richtung Upper West Side nehmen ließ. Chris konnte beim besten Willen nicht feststellen, ob sie verfolgt wurden. Der indische Fahrer hielt ihn zwar für verrückt, nahm es aber mit Gelassenheit auf.
    Dr. Marcia Horwaths Praxis lag in einem fünfstöckigen Gebäude in einer Seitenstraße. Chris sprang aus dem Taxi, bezahlte dem Fahrer viel zu viel und musterte die leere Straße mit einem raschen Blick, bevor er ins Gebäude lief. Es war zehn vor neun, und Dr. Horwath wartete bereits auf ihn.
    Sie war um die Fünfzig, hatte kurzes graues Haar und strahlte Autorität aus. Ihr Büro war ein Büro und kein Sprechzimmer. Keine Ledercouch, keine Topfpflanzen. Aktenschränke, Diagramme an den Wänden, ein Computer, ein kostspieliger, aber funktionaler Schreibtisch. Es sah mehr nach dem Arbeitsplatz einer Unternehmensberaterin als einer Psychologin aus.
    Sie hatte nicht viel Zeit und machte keinen Hehl daraus. »Wie kann ich Ihnen helfen, Mr. äh …?«
    »Szczypiorski. Ich würde mit Ihnen gerne über Bloomfield Weiss sprechen.«
    »Ah, ja. Bloomfield Weiss war früher ein Klient von mir. Obwohl wir schon lange keine Geschäftsbeziehung mehr haben, bin ich nicht von meiner Schweigepflicht entbunden.«
    »Verstehe«, sagte Chris. »Dann werde ich eben sprechen, und Sie entscheiden, wie viel Sie mir erzählen können.«
    »Schießen Sie los!«
    »Nach Abschluss meines Studiums vor zehn Jahren stellte mich Bloomfield Weiss als Trainee ein. Bei der Einstellung wurde ich einigen psychometrischen Tests unterzogen. Die Ergebnisse hat man mir nie mitgeteilt, und ehrlich gesagt, ich hatte sie völlig vergessen. Nun habe ich aber gehört, dass Bloomfield Weiss bestrebt war, mit diesen Tests besonders aggressive Persönlichkeiten zu erkennen und einzustellen.«
    »Das stimmt.«
    »Und Sie haben zu dem Team von Psychologen gehört, die diese Tests durchgeführt haben?«
    »Auch das ist richtig.«
    »Was haben Sie von dieser Methode gehalten?«
    Dr. Horwath gestattete sich ein Lächeln und wirkte nicht mehr ganz so spröde. »Zunächst war ich fasziniert. Ich fand es immer etwas verlogen, wenn ich von all den tugendhaften Eigenschaften hörte, die Unternehmen angeblich von ihren Mitarbeitern erwarteten. Zu den Stärken der psychometrischen Testverfahren gehört, dass sie nicht unbedingt zeigen, ob Menschen gut oder schlecht sind. Man besteht nicht oder fällt durch. Unterschiedliche

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