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Das Programm

Titel: Das Programm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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ganz und gar kein feister Investmentbanker geworden. Tatsächlich sah er nach diesen zehn Jahren eher noch besser aus. Er war rücksichtsvoll und freundlich gewesen. Die Erinnerung an damals, als sie ihn rückhaltlos und bedingungslos geliebt hatte, war plötzlich wieder lebendig. Auf der Highschool und im College hatte sie Freunde gehabt, aber er war der erste Mann gewesen, den sie wirklich geliebt hatte. Vielleicht der einzige Mann, den sie je geliebt hatte. Sie fragte sich, ob sie je aufgehört hatte, ihn zu lieben.
    Sie hatte sich Chris gegenüber unmöglich benommen, als sie ihn einfach wegschickte. Aber es musste sein. So verwirrt, wie sie im Augenblick war, hätte sie nicht mit ihm schlafen können. Sie hätte sich zwingen müssen, es wäre unehrlich gewesen. Und auf keinen Fall mochte sie ihm den wirklichen Grund nennen, warum sie es heute Nacht vorzog, allein zu sein. Chris hatte nichts Unrechtes getan, und sie mochte ihn. Eric war Vergangenheit, und sie wollte, dass er es blieb.
    Wollte sie es wirklich? Eric hatte angedeutet, dass es mit Cassie Schwierigkeiten gab. Megan war sicher, dass er sie aus den falschen Gründen geheiratet hatte, wenn auch vielleicht unbewusst. Sie war hübsch, sie hatte Beziehungen, sie war sicherlich in vielerlei Hinsicht eine ideale Ehefrau, aber sie konnte Eric nicht so nahe stehen, wie es Megan einmal getan hatte. Jetzt, da es zu spät war, sah er es vielleicht ein.
    Megan rollte sich auf die andere Seite und kroch tiefer unter die Bettdecke. Vom offenen Fenster kam ein kalter Luftzug.
    Was sollten diese Gedanken? Eric war verheiratet, verdammt noch mal! Sie wusste, dass sie durcheinander war. Kein Wunder: das Messer und Lenka. Jetzt suchte sie nach einem Halt, indem sie sich glückliche Zeiten von früher ins Gedächtnis rief. Sie machte sich was vor.
    Sie hatte das Bedürfnis, mit jemandem zu sprechen, und sie wusste auch, mit wem sie gerne geredet hätte. Mit Lenka. Lenka hätte Verständnis für ihre Gefühle gehabt und Rat gewusst. Aber Lenka war tot. Das Bittere dieser Erkenntnis überwältigte Megan.
    Irgendwann öffnete sie die Augen. Sie hatte wohl geschlafen, aber nicht lange. Sie meinte ein Knacken aus dem Wohnzimmer zu hören. Vorsichtig stieg sie aus dem Bett und schlich zur Tür. Vor dort aus blickte sie in das dunkle Wohnzimmer. Nichts.
    Sie versuchte wieder Schlaf zu finden, vergeblich. Das verschwommene Bild des Eindringlings, nur wenige Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt, zwang sie immer wieder, die Augen zu öffnen, kaum dass sie sie geschlossen hatte. Schließlich gab sie es auf und trug Kopfkissen und Bettzeug ins Wohnzimmer. Sie entfernte die Lampe von der Lehne und krümmte sich auf dem Sofa zusammen. Jetzt wusste sie, dass sie augenblicklich wach würde, wenn jemand versuchte, die Tür zu öffnen. Endlich fühlte sie sich sicher genug, um einschlafen zu können.

3
    Ian verließ das George V. sobald er bezahlt hatte, und suchte sich ein schäbiges kleines Café in einer Seitenstraße der Avenue Marceau. Er setzte sich an einen winzigen Tisch am Fenster, genoss die Duftmischung aus Gitanes und starkem Kaffee und versuchte nachzudenken.
    Er war wütend auf sich, dass er die Initiative aus der Hand gegeben hatte, und wütend auf Eric, dass er sie ihm aus der Hand genommen hatte. Von Anfang an hatte Eric das Sagen gehabt.
    Er dachte an die Nacht vor zehn Jahren, an den Schock, als er Alex über Bord gehen sah, die alkoholisierte heroische Anwandlung, die ihn hinter Alex herspringen ließ, den Schock, den das kalte Wasser und die hohen Wellen bedeutet hatten. Ian war kein schlechter Schwimmer, aber in dem aufgewühlten Wasser konnte er nichts sehen außer dem Heck des Bootes, das in Richtung Long Island davonfuhr. Nach wenigen Augenblicken war es außer Sicht. Er kämpfte sich durch die Wellen und rief Alex’ Namen, hörte aber nichts außer Wind und Wellen.
    Nach ein paar Minuten stummen, verbissenen Schwimmens erblickte er einen Arm, der sich aus dem Wasser reckte. Er hielt darauf zu und sah – immer wieder von hoch aufgetürmten Wellenbergen verdeckt – zwei Körper, die heftig mit den Armen ruderten. Zunächst glaubte Ian, der eine bemühe sich, den anderen zu retten. Als er näher kam, erkannte er jedoch, dass ein Kopf, der aus dem Wasser auftauchte, von zwei Händen entschlossen nach unten gedrückt wurde. Ian war müde, bot aber seine letzten Kräfte auf, um rasch näher zu kommen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern. Als er dann auf einen

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