Das Programm
Männer rissen sich darum, ihr den Ball zuzuspielen, um ihn ihr dann wieder mit viel Körperkontakt abzujagen.
Nach einem der Spiele überredeten Lenka und Latasha Duncan, Chris, Ian und Alex, sie zu Zabar’s zu begleiten, einem Feinkostgeschäft auf der West Side. Sie kauften mehrere Tragetaschen voll Köstlichkeiten: französische Brote, Pasteten, exquisite Käsesorten und einen exotischen Fruchtsalat. Lenka geriet völlig aus dem Häuschen, als sie heimische Produkte entdeckte, und bestand darauf, ein paar ungarische Salami und Mixpickles mitzunehmen – Unmengen von Mixpickles. Fasziniert war sie auch von Zabars Sammlung getrockneter Pilze. Sie behauptete, alle Tschechen seien Pilzkenner, und sie habe den größten Teil ihrer Kindheit damit verbracht, die Wälder ihrer Heimat auf der Suche nach Pilzen zu durchstreifen. Schließlich zogen die anderen sie aus dem Geschäft, machten noch einen Abstecher in einer Weinhandlung um die Ecke, erstanden ein paar Flaschen und schlenderten zurück in den Park. Sie gingen langsam, genossen die Frühlingssonne und betrachteten die Jogger, Inlineskater, Fahrradfahrer, Liebespärchen und Verrückten, die New Yorks Spielplatz bevölkerten. Als sie am Standbild von König Jagiello vorbeikamen, der auf seinem Pferd saß und zwei Schwerter überm Kopf schwenkte, blieb Lenka stehen.
»Findest du es nicht schön, einen deiner Könige mitten in New York City zu sehen?«, fragte sie Chris. »Als käme er direkt aus dem Mittelalter herbeigeritten.«
»Einen meiner Könige?«, fragte Chris.
»Na, hör mal! Der Mann hat in der Schlacht von Tannenberg den Deutschen Orden besiegt! Erzähl mir nicht, dass überhaupt kein polnisches Blut mehr in deinen Adern fließt.«
Chris lächelte. »Du hast ja Recht. Mein Großvater würde hier stehen und vor ihm salutieren, aber mein Vater hätte in die entgegengesetzte Richtung geblickt. Ich nehme an, ich mach es mir einfach leicht und tu so, als wenn ich Engländer wäre.«
»Ich dachte immer, die Polen wären die größten Nationalisten der Welt«, sagte Lenka.
»Auf meinen Großvater trifft das zu«, sagte Chris. »Den Vater meiner Mutter. Er ist 1939 nach England geflüchtet. Er war ein Kampfflieger, ein Held, der in der Schlacht um England mitgekämpft hat. Liebend gern hätte er sein Leben für Polen hingegeben. Aber mein Vater glaubte nicht an solche Sachen. Er war Sozialist. Kein Kommunist, aber ein überzeugter Sozialist. Nach seiner Meinung vertieft der Nationalismus die Gräben zwischen den Menschen. Er glaubte nicht an Könige. Bestimmt hätte ihm auch dieser nicht gefallen.«
»Was hat er in England gesucht, wenn er Sozialist war?«
»Er hasste den Stalinismus. Und England schien ihm kein schlechter Ort zum Leben. Es war das Jahr 1965, und die Labour Party hatte gerade die Wahlen gewonnen. Harold Wilson schien ihm ein besserer Sozialist zu sein als die sowjetischen Apparatschiks in Warschau. Er war Schachspieler, ein internationaler Großmeister. Auf einem Schachturnier in Bournemouth hat er sich abgesetzt. In Yorkshire hatte er Verwandte, dort traf er meine Mutter, und das Resultat dieser Begegnung steht vor dir.«
»Ich wette, dein Großvater hat nicht viel von ihm gehalten.«
»Wohl wahr.« Das Zerwürfnis zwischen der Familie seiner Mutter und seinem Vater hatte Chris als Jungen sehr gekränkt. Tatsächlich schien die gesamte polnische Gemeinde in Halifax seinem Vater mit Misstrauen zu begegnen. Obwohl er sich abgesetzt hatte, gehörte er für sie zum neuen Regime und war damit niemand, dem man vertrauen konnte. Noch nicht einmal in die Kirche ging er. Trotz seiner Jugend hatte Chris das Misstrauen sehr wohl gespürt und den anderen Polen übel genommen.
»Du sprichst von deinem Vater in der Vergangenheit?«
Chris seufzte. »Er starb, als ich zehn war.«
»Oh, das tut mir Leid.«
»Schon gut. Es ist lange her.«
»Trotzdem tut es mir Leid.« Sie lächelte. »Auf jeden Fall finde ich es wundervoll, dass hier ein slawischer Held steht. Vielleicht wird man eines Tages auch für Vaclav Havel ein Denkmal errichten.«
»Das wäre toll.«
In der Nähe des kleinen Bootsteichs fanden sie ein freies Plätzchen. Sie öffneten die Weinflaschen, aßen, tranken und vertrödelten den Nachmittag. Die Mengen von Mixpickles, die Lenka gekauft hatte, konnten sie unmöglich schaffen, daher begannen Duncan und Alex sie schließlich damit zu bewerten, und im Handumdrehen war die schönste Mixpickles-Schlacht in Gange. Das Ganze war
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