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Das Programm

Titel: Das Programm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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ziemlich kindisch, und Chris brachte es nicht über sich, sich zu beteiligen, aber es tat gut zu sehen, dass alle wenigstens eine Zeitlang ihr beschwerliches Dasein als Investmentbanker vergaßen. Chris legte sich ins Gras und blickte in das Stück blauen Himmel, das die Wolkenkratzer der Fifth Avenue frei ließen. Er spürte, wie der Druck des Ausbildungsprogramms von ihm abfiel. Es war wirklich sehr nett in New York, fand er.
    Müde vom Wein schloss er die Augen. Ein Tropfen Wasser auf seinem Gesicht weckte ihn. Dann noch einer. Die Sonne schien zwar noch, doch über einen Teil des Parks hatte sich eine tintenschwarze Wolke geschoben. Sie öffnete ihre Schleusen, und die Picknicker liefen wie aufgescheuchte Hühner umher, um ihre Sachen einzusammeln. Latasha, Eric und Alex gelang es, das einzige leere Taxi auf der Fifth Avenue zu erwischen, während Chris, Ian, Duncan in ihrem Apartment Zuflucht suchten und Lenka mitnahmen. Unterwegs bot Duncan Lenka unter seinem Mantel Schutz vor dem Platzregen.
    Als sie völlig durchnässt eintrafen, machte Chris etwas Tee. Lenka ging zuerst unter die Dusche und borgte sich von Duncan ein paar trockene Kleidungsstücke. Anschließend duschten Chris und Ian. In dem allgemeinen Durcheinander verzogen sich Duncan und Lenka, um noch irgendwo etwas zu trinken.
    Chris und Ian sahen sich groß an, als die Tür hinter den beiden ins Schloss fiel.
    »Was glaubst du?«, fragte Chris.
    »Nie und nimmer«, sagte Ian. »Sie ist ein paar Nummern zu groß für ihn.«
    »Er sieht ziemlich gut aus«, sagte Chris, »mit seinem Dackel-Appeal.«
    Duncan war kein Beau im üblichen Sinne, aber er hatte ein lustiges, sommersprossiges Gesicht, krause rote Haare, blaue Augen und ein gewinnendes Lächeln, das zu sagen schien: »Komm, lass uns Freunde sein!« Chris hatte seine Wirkung auf einige Frauen bei Bloomfield Weiss in London beobachten können. Er konnte sich durchaus vorstellen, dass Lenka ihn jemand wie beispielsweise Eric mit seinem fein geschnittenen, hübschen Gesicht vorzog.
    »Sie ist doch viel älter als er«, protestierte Ian. »Sie muss mindestens fünfundzwanzig sein.«
    »Viel älter ist ja wohl leicht übertrieben«, sagte Chris. »Sie gefällt dir, gib’s zu!«
    Ian zuckte die Achseln. »Nicht wirklich«, versuchte er möglichst beiläufig zu sagen. »Sie sieht ganz gut aus, nehme ich an.«
    Chris lachte. »Armes Mädchen. Hat den ganzen Kurs an der Hacke.«
    »Das gefällt ihr doch«, sagte Ian.
    »Damit hast du wahrscheinlich Recht.«
    Duncan kam gegen halb elf zurück. Chris und Ian waren noch wach.
    »Na?«, sagte Chris.
    Duncan holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank, ließ sich aufs Sofa fallen und legte die Füße auf die Armlehne. »Sie ist einfach umwerfend«, sagte er grinsend.
    »Und?«, fragte Chris.
    Duncan öffnete sein Bier und nahm einen Schluck. »Schau’n wir mal.«

4
    »Carla, haben Sie mir in den letzten zwei Wochen ein einziges Mal zugehört?«
    »Ja, Herr Professor.«
    Waldern war schlecht gelaunt. Zu Anfang hatte er sich Ian vorgenommen, doch an dem hatte er sich die Zähne ausgebissen. Daher hatte er sich Carla Morelli zugewandt, einem dankbareren Opfer.
    »Dann müssten Sie mir auch sagen können, was ein Repo ist.«
    »Okay, okay«, sagte Carla und schluckte. Die Kursteilnehmer warteten. Angriffslustig streckte Waldern seinen Bart vor und durchbohrte sie mit seinen Blicken. Einige Sekunden lang herrschte Schweigen.
    Carla murmelte etwas.
    Theatralisch legte Waldern die Hand ans Ohr. »Ich kann sie nicht verstehen.«
    »Tut mir Leid«, sagte Carla unsicher. »Tut mir Leid«, wiederholte sie lauter. »Bei einem Repo gibt der Kunde Bloomfield Weiss eine Anleihe, die er nicht hat.«
    »Gibt uns eine Anleihe, die er nicht hat? Wie meinen Sie das?«, sagte Waldern und blickte ungläubig in die Runde. »Wie kann er jemandem etwas geben, was er nicht hat? Und im Finanzwesen gibt niemand irgendjemandem irgendetwas. Da kauft, verkauft, verleiht oder leiht man.« Mit schnellen Schritten ging er auf und ab und genoss die Situation. »Marktteilnehmer verdienen Geld und investieren Geld, aber auf keinen Fall geben sie es einfach weg.«
    Carla wurde rot. Sie tat Chris Leid. Lenka hatte ihm erzählt, dass Carla große Schwierigkeiten hatte. Sie hatte das Kindermädchen entlassen müssen und fand nun keinen Ersatz. Sie verstand nur fünfzig Prozent dessen, was im Kurs durchgenommen wurde, und musste ständig ein Wörterbuch zu Rate ziehen, wenn sie sich abends mit den

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