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Das Programm

Titel: Das Programm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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Der Job war nichts für ihn. Irgendwie ging die Sache immer schief, und er hatte keine Ahnung, warum.
    Vielleicht ist der Wertpapierhandel wirklich wie Schach, dachte Chris. Den guten Schachspieler macht ja angeblich seine Fähigkeit aus, mehrere Züge im Voraus zu planen. Entsprechend heißt es, gute Händler könnten präzise vorausberechnen, wie der Markt sich entwickelt. Doch das Schachspiel und der Wertpapierhandel sind gar nicht so exakt. Gute Schachspieler entwickelten einen Instinkt für eine Stellung. Sie planen viele Züge im Voraus, um eine Stellung zu erreichen, die sie gefühlsmäßig für stark halten: ein unangreifbarer Springer, ein Läufer, der das gegnerische Zentrum angreift, ein durchbrechender Bauer, der die Königinnenseite aufmischt. Für solche Spieler ist Schach nicht nur eine Wissenschaft, sondern auch eine Kunst.
    Chris war ein guter Schachspieler gewesen. Sein Vater hatte es ihm beigebracht, als er klein war, gut beigebracht. Er hatte ihn nie zu übermäßigem Training gezwungen, a ber große Zufriedenheit gezeigt, wenn Chris gut spielte. Und Chris spielte für seine Schule, spielte für seinen Club, spielte gegen Spieler, die um Jahre älter waren, und schlug sie. Nach dem Tod seines Vaters strengte er sich noch mehr an und hatte eine Zeit lang Erfolg. Mit elf konnte er gegen durchschnittliche erwachsene Vereinsspieler gewinnen. Er wurde Jugendmeister seiner Grafschaft. Man setzte hohe Erwartungen in ihn, und überall wurde er mit seinem Vater verglichen.
    Und dann, als er dreizehn oder vierzehn war, wurde alles anders. Mit dem Aufstieg in höhere Spielklassen traf er auf bessere Gegner und begann zu verlieren. Einmal wurde er sogar von einem aufgeweckten Zwölfjährigen geschlagen. Das stachelte seinen Ehrgeiz nur noch mehr an. Stundenlang vertiefte er sich in die Schachliteratur, vervollkommnete seine Eröffnungen, versuchte, tiefer in die Feinheiten der Strategie einzudringen, aber es schien alles nichts zu bringen. Er verlor gegen die Spieler der höheren Klassen und begriff nicht, warum. Endlich wurde ihm klar, dass sie ein besseres Gefühl für eine Stellung hatten. Er konnte sich noch so wacker schlagen, wenn sein Gegner eine Gewinnstellung aufbaute, die er, Chris, noch nicht einmal erkannt hatte. Wäre sein Vater noch gewesen, hätte er seinem Sohn vielleicht erklären können, was da vor sich ging. Er gelangte zu der Einsicht, dass er nie so gut würde spielen können wie sein Vater. Es würde immer Tausende von Schachspielern geben, die besser waren als er. Die Erinnerung an das stille, zufriedene Lächeln seines Vaters, wenn er einen guten Zug gemacht hatte – eine Erinnerung, die ihm in den Jahren nach dem Tod bei so manchem Spiel geholfen hatte –, begann zu verblassen. Schach machte ihm keinen Spaß mehr. Er gab es auf.
    Ähnlich war es ihm mit dem Wertpapierhandel ergangen. Einige Jahre war er bei Bloomfield Weiss so erfolgreich gewesen, dass er glaubte, er hätte den Dreh raus. Er entwickelte ein Gefühl für gute und schlechte Positionen. Er wusste, wann er eine gute Position ausbauen musste, wann der Mut gefragt war, ein gieriges Schwein zu sein, wie George Soros gesagt hätte, und wann er sich von einer schlechten trennen musste. Mit schöner Regelmäßigkeit kamen die Gewinne herein, bis zu jenem unglückseligen Sommer, in dem er, dank Herbie Exler, sechshundert Millionen in den Sand setzte. Mühsam hatte er sich mit Lenkas Hilfe eingeredet, es sei nicht seine Schuld gewesen und werde ihm nie wieder passieren.
    Und nun passierte es doch wieder. Gewiss, es ging nicht um sechshundert Millionen Dollar, aber er war im Begriff, Carpathians Ruf zu verlieren und mit ihm seine Investoren. Und das zählte.
    Abermals hatte es den Anschein, als könne er gar nichts dafür. Aber vielleicht gab es etwas, was ihm gänzlich entging, etwas, was die Leute betraf, mit denen er zu tun hatte, etwas, was ihn immer wieder in diese katastrophalen Positionen hineinmanövrierte. Lenka hätte ihm helfen können, aber Lenka war, wie sein Vater, nicht mehr da.
    Als er so an seinem Schreibtisch saß, spürte er, wie ihm die eisigen Finger der Panik langsam die Kehle zuschnürten. Er hatte Angst. Nicht nur Angst, mit der Eureka-Telecom-Position Geld oder auch Carpathian zu verspielen, sondern auch jenes Stück Selbstachtung zu verlieren, das er so mühsam zurückgewonnen hatte. Der Markt trieb ein böses Spiel mit ihm, und er litt wie ein Tier.
    Das Telefon klingelte. Er nahm

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