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Das Programm

Titel: Das Programm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ridpath
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mit ein paar raschen Worten in Kenntnis. Zu seiner Überraschung hörte er seine Mutter am anderen Ende der Leitung schluchzen. Sie war eine starke Frau, seine Mutter, die kaum jemals weinte. Das hatte Chris nicht erwartet.
    »Bitte, Mum, nicht weinen.«
    »Sie war ein so hübsches Mädchen«, sagte seine Mutter. »Und sie hat so viel für dich getan.«
    »Ja, das stimmt.«
    »Nach der Gründung eurer Firma habe ich einen wunderbaren Brief von ihr bekommen. Ich hatte ihr geschrieben und ihr gedankt, dass sie dir geholfen hat …«
    »Was hast du getan?«
    »Ich habe ihr einen Brief geschrieben.« Chris war fassungslos. Dabei war es nicht das erste Mal, dass seine Mutter ihn in eine unmögliche Situation gebracht hatte. »Und sie hat mir geantwortet. Sie sagte, du seiest der beste Partner, den sie sich vorstellen könne. Du seiest hervorragend in deinem Beruf, aber das sei nicht das Entscheidende. Entscheidend sei, dass du absolut vertrauenswürdig seiest. Sie wisse, dass sie sich auf dich verlassen könne, wenn mal etwas schief gehen würde. Ich habe den Brief aufgehoben. Wenn du möchtest, kann ich ihn dir zeigen.«
    »Das war sehr freundlich von ihr«, sagte Chris.
    »Oh nein, mein Lieber, sie hat es so gemeint. Da bin ich mir ganz sicher.«
    Chris spürte wieder, wie es ihm heiß in die Augen stieg. Er wusste auch, dass sie es ernst gemeint hatte.
    »Wie kommst du ohne sie zurecht?«, fragte seine Mutter.
    »Eher schlecht als recht, ich hab ganz schön zu kämpfen, um ehrlich zu sein.«
    »Na ja. Keine Angst, du schaffst es bestimmt. Du wirst doch Lenka nicht enttäuschen.«
    »Nein, Mum.«
    »Kannst du uns nächstes Wochenende besuchen? Anna kommt mit Vic und den Jungen. Und dein Opa wird sich freuen, dich zu sehen.«
    Anna war seine Schwester. Es würde sicherlich nett sein, sie wieder zu sehen, aber sie hatten sich auseinandergelebt, seit sie mit zwanzig Vic geheiratet hatte. Und was seinen Großvater anging, so war er sich da gar nicht so sicher. Als Kind hatte Chris den verschrobenen alten Kriegshelden verehrt, doch als sie dann beide älter geworden waren, schienen sie in verschiedenen Welten zu leben. Sein Großvater misstraute den internationalen Banken und fand, das sei ein Beruf für Juden oder Deutsche, aber nicht für gute polnische Katholiken, während Chris die immer radikaleren politischen Ansichten des alten Mannes schwer erträglich fand. Er musste seinen Großvater nicht unbedingt sehen.
    »Tut mir leid, Mum, es geht unmöglich. Du kannst dir sicher denken, dass es hier ‘ne Menge zu tun gibt. Und ich muss am Montag in die USA.«
    »Schon gut. Und das mit Lenka tut mir sehr Leid.«
    Chris legte auf. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und überließ sich seinen Gedanken. Es war ihm peinlich, dass sie Lenka geschrieben hatte. Aber Lenka hatte nichts dabei gefunden. Sie hatte die Sorge einer Mutter um ihren Sohn verstanden, und ihren Stolz auf ihn. Chris musste lächeln. Trotz aller Verschiedenheit hätten sich Lenka und seine Mutter wahrscheinlich gut verstanden. Wie schade, dass sie sich nie begegnen würden.
    Er spürte einen Anflug von Gewissensbissen. Es waren nicht die üblichen Schuldgefühle, weil er versuchte, sich von seiner Familie zu distanzieren, weil er seine Mutter und seinen Großvater enttäuschte. Zum ersten Mal kam ihm die Ahnung, dass sein Wunsch, sich von ihnen zu lösen, möglicherweise kein Zeichen von Reife war, sondern das genaue Gegenteil. Seine Mutter war eine brave Frau, die ihn aufrichtig liebte und alles für ihn getan hätte. Wenn ihm die Abnabelung wirklich gelungen wäre, würde ihm das überhaupt nichts ausmachen. Hätte er seine Identität außerhalb der Familie gefunden, könnte er mit ihr ohne Scham und Angst umgehen. Lenka war ein starker, unabhängiger Mensch und hatte die Qualitäten seiner Mutter sofort erkannt. Er schämte sich, dass er nicht auch so stark war.
    Lenka.
    Er blickte hinüber zu seinem Computer und fragte sich, ob der geheimnisvolle Marcus mehr dazu zu sagen hatte. Wie schon mehrfach im Laufe der Woche schaltete er das Gerät ein und rief seine E-Mails ab.
    Es gab eine neue Nachricht. Zwischen Angeboten, Hot Russian Babes herunterzuladen und 2000 Dollar pro Woche durch Heimarbeit zu verdienen, war eine Nachricht, deren Betreff schlicht ›Lenka‹ lautete. Sie kam von Marcus.
    Chris öffnete sie.
     
    I CH BIN ENTSETZT , DASS L ENKA ERMORDET WURDE . D AS LÄSST MICH UM MEINE EIGENE SICHERHEIT FÜRCHTEN . ICH WEISS , DASS S IE ZU DEN L

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