Das Programm
MEINE ADRESSE GEBEN .
M ARCUS
Verdammt! Rasch tippte Chris eine Antwort in den Computer.
M ARCUS
A M S ONNTAG FLIEGE ICH IN DIE USA. I CH BIN IN N EW Y ORK UND H ARTFORD , C ONNECTICUT . K ÖNNEN WIR UNS NICHT DOCH TREFFEN ? S AGEN S IE WANN UND WO , UND ICH WERDE DORT SEIN .
C HRIS
Er schickte die E-Mail ab und ging zu Bett.
Am nächsten Morgen wartete schon die Antwort auf ihn.
N EIN .
Chris seufzte. Aber Eric hatte Recht. Jemand mit einem Namen wie Marcus Lubron konnte nicht unauffindbar sein. Den Namen Lubron hatte er noch nie gehört, bevor er Alex kennen lernte. In New York würde er sich ein bisschen Zeit nehmen, um ihn zu suchen. Vielleicht konnte Eric ihm helfen.
Chris lehnte an der Pförtnerloge und betrachtete die Kinder, die vorbeikamen. Er erinnerte sich, wie erbost er während seiner Studienzeit in Oxford über einen Artikel gewesen war, in dem ein Examenskandidat sich darüber mokierte, wie jung die Studienanfänger aussähen. Zwölf Jahre später musste er dem Artikelschreiber von damals Recht geben. Ob er auch mal so ausgesehen hatte wie diese Kids?
Dann erblickte er sie auf dem Quad, oder wie immer sie diese Plätze in Cambridge nannten – in Jeans, Pullover und Jeansjacke. Zu seiner Erleichterung sah sie ein paar Jahre älter aus als die meisten der pickligen Collegebewohner. Sie freute sich sichtlich, ihn zu sehen. Er küsste sie auf die Wange, die kühl war von der Märzluft.
»Hi, wie schön, dass du da bist«, sagte sie.
»Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite. Vielen Dank für die Einladung.«
»Das dürfte ja wohl das Mindeste sein, nachdem ich deine Gastfreundschaft letzte Woche so ausgiebig in Anspruch genommen habe. Hast du was dagegen, wenn wir ein bisschen gehen? Ich möchte die Stadt kennen lernen.«
»Sehr gern«, sagte Chris.
»Kennst du Cambridge?«, fragte Megan. »Du hast hier doch nicht studiert, oder?«
»Ich war bei der Konkurrenz«, sagte Chris. »Vor zehn Jahren habe ich hier Freunde aus der Schulzeit besucht und ein paar feuchtfröhliche Abende verbracht. Leider ist meine Erinnerung etwas verschwommen.«
Sie gingen durch die Straßen. Chris war schon seit Jahren nicht mehr in Oxford gewesen und überrascht, dass Cambridge ganz anders auf ihn wirkte, als er seine Universitätszeit in Erinnerung hatte. Zu dieser Jahreszeit gab es nur wenige Touristen. Die Menschen, die vorbeigingen, waren von gelassener Zielstrebigkeit. Obwohl er wusste, dass Studenten ihre eigenen Probleme, ihre eigenen Sorgen und ihre eigenen Krisen haben, schien ihm die Atmosphäre von heiterer Ruhe geprägt. Man hatte die Autos aus der Innenstadt verbannt, daher gab es keine lauteren Geräusche als die Schritte der Passanten und hin und wieder das Klappern eines alten Fahrrads. Er kam sich vor wie ein rüder Außenseiter aus der materialistischen Hektik einer anderen Welt, der Welt der Gehaltsschecks, der überfüllten U-Bahnen, der Anzüge und der Hypotheken.
»Wie ist die University of Chicago?«, fragte er Megan.
»Nicht mit hier zu vergleichen«, sagte sie. »Zumindest nicht äußerlich. Die ältesten Gebäude haben höchstens hundert Jahre auf dem Buckel. Aber es ist eine gute Uni mit ein paar guten Historikern, die sogar bei diesen Typen hier Anerkennung genießen.«
»Ich bin sicher, du gehörst dazu«, sagte Chris.
Megan lächelte. »Warten wir’s ab. Am besten gefällt mir an Cambridge, dass sich hier Geschichte zu ereignen scheint. Meine Art von Geschichte.«
»Meinst du die ganzen alten Gebäude?«
»Ja, aber es ist mehr als das. Stell dir mal all die Menschen vor, die hier jahrhundertelang studiert haben, Latein gelesen und geschrieben und über theologische Fragen gestritten haben. Irgendwie wird dadurch die Beschäftigung mit, was weiß ich, der Buchmalerei des zehnten Jahrhunderts realer. In Chicago hatte ich das Gefühl, auf einem anderen Planeten zu leben. Der Mars erschien mir näher und wirklicher als der heilige Dunstan und seine Freunde.«
»Mir kommt das alles so entsetzlich lange her vor.«
»Mir nicht«, sagte Megan. »Ich weiß noch genau, wann ich mich für das ganze Zeug zu interessieren begann. Ich war als Austauschschülerin in Frankreich, in Orléans. Das Mädchen, bei dem ich wohnte, hatte keinen Sinn für Dinge, die sich vor 1970 zugetragen hatten, aber ihr Vater war ein richtiger Geschichts-Freak. Er nahm mich mit zu einer winzigen Kirche, die Germigny-des-Prés hieß. Ein blinder Geistlicher führte uns durchs
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