Das Programm
Gemäuer. Größtenteils war alles die übliche Sandsteingotik, aber eine Stelle, das eine Ende der Apsis, war mit wunderbaren Fresken geschmückt. Ich weiß heute noch, wie der Geistliche sie aus dem Gedächtnis beschrieb. Ich konnte einfach nicht glauben, dass etwas so Schönes vor tausend Jahren, im ›finsteren Mittelalter‹ entstanden sein sollte. Seither versuche ich zu verstehen, wie es wohl war, damals zu leben, wie geheimnisvoll und gefährlich die Welt ihren Bewohnern erschienen sein mag und wie sie versucht haben, sich einen Reim darauf zu machen.«
»Und ich dachte, in Chicago verkauft man nur Schweinebäuche.«
Megan lächelte. »Ich weiß. Muss dir ziemlich komisch vorkommen.«
»Nein«, sagte Chris. »Überhaupt nicht. Du musst mir ein paar von diesen Sachen zeigen.«
»Dann gehen wir mal in die British Library und schauen uns die Bilderhandschrift des Bischofs Aethelwold von Winchester an. Sie ist wunderschön.«
»Ich freu mich drauf.«
»Abgemacht«, Megan lächelte und zeigte auf eine Gasse. »Wollen wir hier entlang?«
Sie schlenderten die kleine Straße hinunter. Auf der einen Seite stand eine Reihe kleiner Häuser in verschiedenen Abstufungen von Rosa und Grau, die andere begrenzte die Rückseite eines College, Chris hatte keine Ahnung, welches. Er hatte die Orientierung verloren.
»Fandest du das Begräbnis auch so deprimierend?«, fragte er.
Megan schauderte. »Ja, trotzdem bin ich froh, dass ich mitgeflogen bin.«
»Mir tat es Leid, dass wir so wenig miteinander gesprochen haben.«
»Es war schwierig, weil Duncan immer dabei war. Kannst du mit ihm sprechen?«
»Ja«, sagte Chris.
»Und?«
»Nach anfänglichem Leugnen hat er zugegeben, dass Marcus ihn aufgesucht hat. Offenbar hattest du Recht: Lenka hat Marcus tatsächlich erzählt, was auf dem Boot passiert ist. Marcus hat dann Duncan gefragt, ob das stimmt, und ihn bedroht.«
»Bedroht?«, fragte Megan erschreckt.
»Ja. Nichts Konkretes. Aber es scheint Duncan doch ziemlich verunsichert zu haben.«
»Warum hat er es dann nicht vorher erzählt?«
»Er sagt, weil er nicht zugeben wollte, dass er die Wahrheit preisgegeben hatte, nachdem wir das Ganze seinetwegen verheimlicht hatten.«
»Aha«, sagte Megan.
»Ich glaube ihm.«
»Hast du ihn gefragt, wo er war, als Lenka umgebracht wurde?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Chris sah sie ein bisschen schuldbewusst an. »Es war der Tag ihres Begräbnisses, und er war sehr betroffen. Ich bin sicher, dass das nicht gespielt war. Er wäre verdammt sauer gewesen, wenn ich angedeutet hätte, dass er der Täter sein könnte.«
Megan warf ihm einen missbilligenden Blick zu.
»Er ist mein Freund. Ich kenne ihn«, sagte Chris. »Und ich bin sicher, dass er Lenka nicht umgebracht hat.«
Sie hatten den Fluss erreicht, den der Regen der letzten Tage hatte anschwellen lassen. Noch immer hingen drohende Wolkenfetzen über den Feldern Richtung Grantchester. Ein einsamer, durchgefroren aussehender Student trieb ein Punt flussabwärts.
»Was für eine umständliche Art, ein Boot zu bewegen«, sagte Megan. »Kannst du das auch?«
»Nicht im März«, sagte Chris fröstelnd.
Sie setzten ihren Weg fort. »Zumindest wissen wir jetzt, was Lenka Marcus erzählt hat«, sagte Megan.
»Ja«, sagte Chris. Dann blieb er unvermittelt stehen. »Moment mal!«
»Was ist?«
»Wir wissen überhaupt nicht, was Lenka Marcus sagen wollte. Wir haben keine Ahnung.«
»Wieso?«
»Nun, wir wissen, dass Marcus Lenka am Dienstag aufgesucht hat. Außerdem wissen wir von Duncan, dass Lenka Marcus bereits gesagt hatte, warum Alex über Bord gegangen ist. Marcus ging gleich auf Duncan los, als er ihn an diesem Nachmittag nach der Arbeit abpasste.«
»Soweit ist alles klar.«
»Aber die E-Mail, die Lenka an Marcus geschickt hat, ist vierundzwanzig Stunden später geschrieben worden.«
»Bist du sicher?«
»Ja. Warte, ich guck noch mal nach.« Chris holte den Ausdruck aus der Brusttasche seiner Lederjacke. »Ja, hier steht’s. Sie ist am Mittwoch, dem 16. Februar, abgeschickt worden.«
»Das ergibt keinen Sinn«, sagte Megan.
»Doch. Wenn wir davon ausgehen, dass es noch etwas anderes gab, was Marcus erfahren musste. Das zu erfahren er ein Recht hatte, wie sie sagte.«
»Noch etwas anderes?«
»Ja.«
»Aber was?«
»Keine Ahnung.«
Sie überquerten den Fluss, spazierten am Ufer entlang in Richtung der so genannten Backs, der Parkanlagen hinter den Colleges.
»Eine Möglichkeit gäbe es«, sagte Megan.
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