Das Prometheus Mosaik - Thriller
zusammengetragen haben konnten. Nur einen Blick darauf werfen zu können, eine Ahnung davon zu bekommen, war für einen neugierigen Menschen wie Fio eine Verlockung, der eigentlich nicht zu widerstehen war.
Was sie sich dennoch widersetzen ließ, was ihr das Quäntchen Kraft dazu gab, das ihr Glaube allein vielleicht nicht aufgebracht hätte, war, dass sie nichts weiter hatte als Döberins Wort. Keinen wirklichen Beweis. Kein verstecktes Archiv des Wissens, in dem die Erkenntnisse aus Jahrhunderten lagerten.
Zusätzlichen Zweifel schürte Döberins Behauptung, die Loge hätte ihr Wissen zum allergrößten Teil für sich behalten. Weil die Menschheit für vieles nicht reif sei, vielleicht nie reif sein würde. Natürlich, das kam Fios eigener Überzeugung sehr entgegen und war ja der Grund, weshalb sie sich der Genetik verschrieben hatte. Dieser Umstand aber bestätigte in ihr den Verdacht, Döberin könnte genau darauf abzielen, auf ihre Achillesferse.
Am meisten beschäftigte sie der eine Punkt, den Döberin nicht angesprochen hatte: Was war aus der Prometheus-Loge geworden? Warum gab es nur noch ihn, weshalb brauchte es neue Erben?
Und warum zwang er sie, diesen Menschen all das anzutun? Wie konnte das irgendjemandem nützen oder zu einem größeren Ziel führen?
Diese Fragen waren das Gift, das am Fundament des Lügengebäudes fraß und es zum Einsturz brachte.
Fio wäre willens gewesen, in der Gesellschaft Gleichgesinnter im Geheimen zu forschen. Mit darüber zu entscheiden, welche Erkenntnisse den Menschen zugänglich gemacht wurden und welcher Rätsel Lösungen besser unter Verschluss blieben.
Nur war sie nicht bereit, dafür über Leichen zu gehen …
Das Räderwerk des Geschehens um sie herum drehte sich weiter, eine Bewegung im Raum ging immer noch passgenau in die andere über, und nun kam auch Fio wieder ins Spiel.
Sie nahm das Skalpell in die Hand. Ließ den Blick darauf ruhen. Und dieser Anblick wirkte wie ein Katalysator für etwas, das sie insgeheim schon lange tun wollte, zu dem ihr nur das letzte bisschen Willen fehlte.
Das Bild des Skalpells, seine fast sichtbare Schärfe schien es zu sein, die etwas in Fio zertrennte, etwas befreite, von dessen Existenz sie nicht wirklich überzeugt war, an das sie aber ganz fest glaubte.
Und es rührte sich …
»Signorina Gallo?«, hörte sie Döberins Stimme.
Sie schien der Startschuss zu sein, der allerletzte Anstoß, den sie brauchte.
Fio wollte und würde niemandem mehr Leid zufügen. Sondern den Leidensweg eines Menschen beenden.
Wie eine Figur aus einer alttestamentarischen Geschichte, die niemals niedergeschrieben worden war, kam Fio sich vor, als sie das Skalpell hob, die Faust fest darum schloss wie um einen Opferdolch – und vorstürzte, um dem Ärmsten die Klinge ins Herz zu stoßen.
***
Als wäre Pauls Eröffnung ihr Stichwort gewesen, hatten sich Roxane Fortiers Schritte genähert, und dann war sie hereingekommen. Eine bange Minute lang, die einfach nicht vergehen wollte, hatte Sara unter Pauls Bett gekauert, während Fortier nur Zentimeter von ihr entfernt gestanden und stumm nach ihrem Sohn geschaut hatte. Endlich war sie doch gegangen, ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben, und hatte sich im Raum gegenüber zu schaffen gemacht. Schließlich hatte sie etwas Schweres davongekarrt. Den gläsernen Sarg mit dem nackten Mann darin.
Natürlich hatte Sara daran gedacht, Fortier anzugreifen. Mit dem Überraschungsmoment auf ihrer Seite hätten ihre Chancen gut gestanden. Es wäre jedoch ein Restrisiko geblieben, und dies war nicht der Augenblick, mit einer solchen Gefahr zu spielen. Es ging um viel zu viel. Wäre auch Sara noch in ihre Hände gefallen, wäre alles aus gewesen – und Paul verloren, so gut wie tot.
So hatte sie in ihrem Versteck ausgeharrt und kam erst wieder hervor, als Fortier sich so weit entfernt hatte, dass sie nicht mehr zu hören war.
»Wer ist das in diesem Glaskasten?«, fragte Sara im Aufstehen. Und aus enger Kehle: »Theo?«
»Nein, nicht Theo«, antwortete Paul leise.
Sara stutzte. »Du kennst Theo?« Die beiden waren einander doch gar nicht begegnet.
Paul schüttelte sacht den Kopf. »Nein, ich kenne Theo nicht. Aber ich weiß, wer er ist.«
»Du könntest dir dein Geld echt als Wahrsager verdienen«, meinte Sara. »Ich versteh kein Wort.«
Paul nickte matt. »Immer mit der Ruhe. Eines nach dem anderen, ja?«
»Ja, natürlich.« Sara trat neben ihn und half ihm, sich aufzusetzen. »Du kannst mir
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