Das Prometheus Mosaik - Thriller
wie ein Tier. Wir müssen uns beeilen!«
Theo drehte den Kopf, er hielt Ausschau nach dem Kopftuch der Frau vom Friedhof.
»Mach zu!«
Jetzt war es Sara, die ihm einen Stoß gab, und er fragte nichts mehr, sah sich nicht länger um, lief nur, so schnell es möglich war, ohne jemanden über den Haufen zu rennen.
Auf Letzteres legte Hajek keinen Wert. Wer ihm im Weg stand, den rempelte er kurzerhand an. Theo und Sara folgten ihm wie durch ein Spalier.
Mitten auf der Treppe blieb er stehen wie vor einer unüberwindlichen Hürde.
Das stimmte auch, in gewisser Hinsicht.
»Zurück!«, rief Hajek. »Schnell!«
Theo hatte die Stufen mit einem Satz genommen und prallte gegen Hajek, wartete darauf, dass Sara gegen ihn lief. Was nicht geschah. Offenbar hatte sie es geschafft, rechtzeitig zu stoppen; vielleicht hatte sie auch vor ihm und Hajek gesehen, wer dort oben auf sie wartete – mit offenem Ledermantel, wehenden Schößen, Kopftuch, Sonnenbrille und einer Pistole in der Hand.
Dann hoben sich zwei Hände in einer spiegelbildhaften Bewegung.
***
Noch einmal schien die Zeit stehen zu bleiben und die Wirklichkeit zu einem einzelnen Bild zu gefrieren: Zwei Menschen standen einander gegenüber, am oberen und unteren Ende einer Treppe, dazwischen schreckensstarre Gestalten, zwischen den Mündungen zweier Pistolen gefangen, die eine in der Faust einer Frau, die andere in der eines Mannes.
Ein Augenblick vollkommener Stille, in dem endlos Gelegenheit zu sein schien für Gedanken aller Art. Dennoch brachte Theo nicht mal einen zustande.
Dann barst die Stille unter zwei Donnerschlägen.
Roxane Fortiers Hand wie auch die von Lorenz Hajek schienen zu explodieren, Feuer zu speien.
Die Schüsse überlagerten einander – beinahe.
Hajek hatte seinen verrissen. Weil Fortier um einen Sekundenbruchteil schneller gewesen war.
Seine Kugel sprengte ein kopf großes Loch in die Fliesen des Treppenaufgangs.
Fortiers Kugel stieß Hajek nach hinten. Seine Hand krallte sich in Theos Mantel. Hajeks Gewicht und der Wucht des Sturzes hatte Theo nichts entgegenzusetzen. Die beiden Männer überschlugen sich mehrfach und rollten so die Stufen hinunter.
Gleichzeitig geriet auch der Rest der Welt um sie herum wieder in Bewegung, und er drehte sich rasend schnell. Der U-Bahnhof verwandelte sich in einen Hexenkessel, in dem Panik kochte: Menschen schrien, rannten, aufgescheuchten Hühnern gleich, ziellos umher. Die Masse versuchte, über die Treppen nach oben zu fliehen, und verstopfte den Aufgang. Die Nachdrängenden machten wie auf ein unhörbares Kommando hin kehrt und hasteten den Bahnsteig hinunter, um sich dort in Sicherheit zu bringen. Etliche stürzten, die wenigsten halfen ihnen auf, die meisten rannten an ihnen vorbei oder stampften über sie hinweg.
Theo kam sich vor wie herausgelöst aus dieser wahnsinnigen Wirklichkeit. Er fühlte sich wie auf einer Insel, an deren Gestade es allein ihn und Lorenz Hajek gespült hatte – an das Ufer eines Sees aus Blut, der unter Hajek langsam auseinanderlief.
Theo blickte sich hektisch um, die Treppe hinauf, in die Runde.
Nichts …
Die Frau war verschwunden.
So wie Hajek verschwunden zu sein schien, als Theo wieder nach unten sah.
Eine Spur aus großen (viel zu großen!) roten Klecksen führte von der Stelle fort, an der er eben noch gelegen hatte. Theos Blick folgte dieser Spur und fand Hajek an einer Säule lehnend, halb verborgen, Schutz suchend. Er eilte zu ihm, ging auf die Knie nieder. Hajeks Gesicht war schmerzverzerrt, sein Blick wurde trüb.
Theo selbst tat vom Treppensturz jeder Knochen weh. Der Schmerz war allerdings erträglich, zumal angesichts dessen, was hier auf dem Spiel stand: Menschenleben. Und auf deren Rettung verstand er sich. Für gewöhnlich geschah das zwar unter ganz anderen Umständen, aber die blanke Tatsache, dass es eben darum ging, veranlasste den Arzt in ihm, sich zurückzumelden. Endlich verspürte er wieder zumindest einen Hauch jener Eiseskälte und Ruhe, die ihn zu Beginn einer Operation überkamen.
Rasch, routiniert und dabei so vorsichtig wie möglich schälte er Hajek aus dem Mantel, der sich an der Schulter mit Blut vollgesogen hatte. Noch war nicht zu sehen, wo genau die Kugel eingedrungen war, geschweige denn, welchen Schaden sie angerichtet hatte. Gut sah es nicht aus.
Theos Hirn schien sich in eine dunkle Wolke zu verwandeln, aus der Fragen über Fragen wie die schweren Tropfen eines Platzregens niederprasselten. Aber Hajek war nicht in
Weitere Kostenlose Bücher