Das Prometheus Mosaik - Thriller
hinweg und in einen der Tunnels hinein, wo es auf etwas traf und Funken schlug.
»Da rein!«, rief Sara Lassing durch den panisch fliehenden Menschenpulk zu.
Er blickte kurz nach vorn, folgte der Richtung ihres deutenden Fingers.
»Sind Sie verrückt?«, entfuhr es ihm.
Wie sie musste auch er hören, dass sich ein Zug aus dem Tunnel näherte, in den sie zeigte.
»Schnell, Mann!«
Noch ein Schuss, wieder Funken, die ganz kurz Licht auf etwas warfen.
Die Rettung? Vielleicht.
In jedem Fall unsere einzige Chance …
Das schien auch Lassing so zu sehen.
Gleichzeitig sprangen sie. Hinein ins Dunkle, das vor ihnen gähnte wie das Maul eines monströsen Tieres und sie aufnahm und verschlang, bevor es selbst vom Licht des einfahrenden Zuges gefressen wurde.
***
Ein Aufschrei ging durch die Menge derjenigen, die gesehen hatten, wie Theo Lassing und Sara Schaffer vor den nahenden Zug sprangen und dann verschwunden waren, wie ausradiert aus dieser Welt.
Das können sie nicht überlebt haben …
Dennoch, die Chance bestand, mochte sie auch winzig sein. Das räumte Roxane Fortier ein. Jedenfalls konnte sie sich nicht vorstellen, dass die beiden bewusst den Freitod gewählt hatten, um ihrer Ermordung zu entgehen.
Sie musste sichergehen. Dass sie wirklich tot waren. Dass sie selbst ihre Arbeit getan, ihre Pflicht erfüllt hatte.
Die Eiseskälte allerdings, dieses Gefühl, das alles einfror, was nichts mit ihrer Aufgabe zu tun hatte, und nur funktionieren ließ, was zu deren Erfüllung gebraucht wurde, schmolz dahin. Tatsächliche Wärme schien in sie zurückzukehren, ein Gefühl, das sie zu einer anderen Person machte.
Ob es wirklich so war, wusste sie nicht. Sie hatte sich dieses Bild irgendwann erschaffen, um sich zu veranschaulichen, wie sie die Rollen wechseln konnte. Und im Lauf der Zeit hatte sie es dermaßen verinnerlicht, dass es zumindest so zu sein schien.
Ihr genügte es jedenfalls. Und der sich nun ankündigende Wechsel von dieser Rolle zurück in die andere dämpfte ihre Enttäuschung darüber, sich keine Gewissheit verschaffen zu können, die Jagd einstellen zu müssen.
Die Uhr, die in Roxane Fortier tickte, war abgelaufen. Jetzt musste sie sich zurückziehen, wollte sie noch davonkommen. Dieses besondere Zeitgefühl war Teil ihres Talents und eine Voraussetzung, die sie für ihren Beruf mitgebracht hatte. Sie wusste, ab wann ihre eigene Sicherheit auf dem Spiel stand, und sie handelte nach diesem inneren Wissen, immer. Hätte sie das nicht rigoros getan, säße sie längst hinter Gittern – oder nicht einmal mehr das …
Davon abgesehen hatte sie Paul im Auto zurücklassen müssen. Sie hatte eine ziemlich konkrete Ahnung davon, wie lange er schlafen würde – und dass dies nun nicht mehr lange so bleiben würde. Wollte sie nicht riskieren, dass auch er ihr noch entkam, musste sie zu ihm zurückkehren.
Roxane Fortier machte sich aus dem Staub. Schlängelte sich zwischen den panischen Menschen hindurch, von denen nur wenige wirklich Augenzeugen gewesen waren; die meisten wussten nicht, dass sie die Auslöserin dieses Chaos war, dass vor allem sie geschossen hatte. Diese Tatsache erlaubte ihr, in der Menge unterzutauchen, sie als Deckung zu nutzen, indem sie einfach so tat, als gehöre sie dazu. Und ihr naturgegebener Instinkt ließ sie wie von selbst die Erfassungsbereiche der Überwachungskameras umgehen; eine Gabe, die nicht erklärbar war, die sie einfach besaß und irgendwann erkannt und sich zunutze gemacht hatte.
Ein letzter Blick im Vorbeigehen noch auf den toten Dunleigh, der Versuchung widerstehen, auf seinen Leichnam zu spucken, und dann war Roxane Fortier verschwunden.
Wieder im Wagen, wieder bei Paul, fuhr sie los, weiträumig um den Ort des jüngsten Geschehens herum und aus der Stadt, auf die Autobahn Richtung Süden.
Hinter ihr begann Paul sich auf dem Rücksitz zu regen. Sie hatte ihm vorsichtshalber Hände und Füße gefesselt und ihn geknebelt. Bei nächster Gelegenheit würde sie ihn weiterschlafen lassen.
Sie musste nun ganz besonders auf ihn achtgeben. Weil er jetzt eben genügen musste, nachdem der andere entwischt war. Paul musste genügen, um den Menschen glücklich zu machen, den Roxane selbst nie hatte glücklich machen können. Obwohl sie es weiß Gott versucht hatte – weil sie es sich gewünscht hatte wie nichts anderes auf der Welt, weil sie in ihm gefunden hatte, was ihr genommen worden war, was ihr im Leben fehlte, was sie vermisste.
Doch schien er blind
Weitere Kostenlose Bücher