Das Prometheus Mosaik - Thriller
dem Zustand, ihm auch nur eine davon zu beantworten.
Er befreite ihn aus dem Jackett, das auf Brust- und Schulterhöhe vor Blut nahezu triefte. Das ehedem weiße Hemd darunter war zur Hälfte rot. Theo zerriss den Stoff, legte Brust und Schulter frei – und dann war ihm, als sei die Verbindung zwischen seinem Gehirn und den Händen auf einmal gekappt, so als würden einer Marionette die Fäden durchgeschnitten.
Sein Blick blieb an Hajeks Oberarm haften, an dem, was er dort sah, was Hajek trug: dieselbe gleichermaßen schlichte und markante Tätowierung wie Katharina.
Dann spürte er, wie Hajeks Blick sich auf ihn richtete, er sah, wie seine Lippen sich bewegten, wie er wenigstens dieses Geheimnis für ihn lüften wollte.
Er kam nicht mehr dazu. Seine Miene verformte sich noch einmal, drückte Staunen aus, das ihm im Gesicht erstarrte.
In Hajeks Stirn war ein Loch erschienen. Hinter ihm klatschten Blut und Hirnmasse gegen die Säule.
Tot lag er da.
So tot, wie Theo gleich neben ihm liegen würde.
***
Als die Schüsse fielen, war Sara von irgendjemandem zu Boden gerissen worden, nicht in heroischer Absicht, sondern weil sie im Weg gestanden hatte. Die nächsten Sekunden hatte sie damit verbracht, trampelnden Füßen zu entgehen. Dabei hatte sie sich ein paar Meter von der Treppe entfernt, und als sie es endlich schaffte, wieder hochzukommen, sah sie Theo Lassing ein Stück entfernt hinter einer Säule verschwinden, wo er neben jemanden niederkniete.
Es gehörte nicht viel Fantasie dazu, sich darauf einen Reim zu machen.
Was jetzt …?
Natürlich dachte sie als Erstes daran, die Polizei zu rufen, endlich das zu tun, was sie von Anfang an hätten tun sollen. In der jetzigen Situation jedoch würde das schon irgendjemand für sie erledigen. Höchstwahrscheinlich war die Polizei längst alarmiert. Das hieß für Sara, sie konnte sich etwas anderem zuwenden.
Schon war sie unterwegs in Lassings Richtung – als sie den Kurs plötzlich änderte. Weil sie Roxane Fortier ausgemacht hatte, die denselben Weg eingeschlagen hatte.
Jetzt war es Sara, die sich rücksichtslos durch die wimmelnde Menge drängelte. Sekunde um Sekunde ging ihr verloren, die Masse der Leute um sie herum schien immer dichter zu werden, anstatt sich endlich zu lichten.
Kaum vorstellbar, dass seit den Schüssen auf der Treppe lediglich Sekunden vergangen waren.
Die letzten zwei Meter überwand Sara im Sprung, mit vorgestreckten Fäusten, einen Schrei ausstoßend.
Zu spät …
Der Schuss krachte. Aus dem Augenwinkel sah Sara, wie sich die Säule hinter Hajeks Kopf rot und grau färbte.
Den zweiten Schuss gelang es ihr abzulenken.
Sara prallte gegen Fortier, stieß sie zur Seite, brachte sie ins Straucheln und zu Fall. Die Kugel ging irgendwohin. Sara verspürte den Stich einer eiskalten Nadel mitten ins Herz, als sie über die Angst- und Panikrufe einen einzelnen Schrei auffing, der unverkennbar Schmerz ausdrückte.
Drei, vier Leute schoben sich zwischen Sara und Fortier. Sie wollte ihr hinterherstürzen, als jemand sie am Arm packte.
Lassing zog sie mit blutverschmierter Hand fort.
»Lassen Sie mich los, ich …«
»Spielen Sie nicht die Heldin, die Frau hat eine Waffe.«
Es war, als hätte es seiner Worte bedurft, ihr die wahre Bedeutung dieser Tatsache bewusst zu machen.
Sie konnte sterben. In dieser Sekunde, in der nächsten. Tot sein, nicht mehr auf der Welt. Einfach so, von einem Augenblick zum anderen.
Hätte Sara nicht schon alles ausgekotzt, was in ihr gewesen war, hätte sie es vielleicht jetzt getan, unter der Wucht, mit der die Erkenntnis der eigenen und plötzlich ganz nahe liegenden Sterblichkeit sie traf.
Im Laufen blickte sie nach hinten. Genau in diesem Augenblick tat sich kurz eine Lücke in der Menge auf.
Wie ein Todesengel mit schwarzen Flügeln stand Roxane Fortier da, fast knochenfarben das Gesicht, in das die Sonnenbrille zwei dunkle Augenhöhlen zu stanzen schien.
Sie schoss nicht, aus irgendeinem Grund. Aber sie setzte sich in Bewegung, und das mit einer sichtbaren Zielstrebigkeit, die Sara neue Angstschauer über den Rücken trieb.
Dann schloss sich die Lücke wieder, ein Vorhang aus Menschenleibern legte sich zwischen sie, und Sara rannte, nun ihrerseits Theo Lassing mit sich zerrend. Zwei, drei Schritte musste sie ihn hinter sich herziehen, ehe er endlich selbst wirklich zu laufen, um sein Leben zu rennen begann.
Ein Geschoss pfiff wie ein abartig großes Insekt direkt über ihrer beider Köpfe
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