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Das Prometheus Projekt

Das Prometheus Projekt

Titel: Das Prometheus Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker C Dützer
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sie ihm heimlich folgen würde. Was würde sie in der Welt draußen vorfinden, was erleben? Waren die Menschen freundlich oder abweisend? Redeten Sie vielleicht in einer Sprache, die sie nicht verstand? Woher nahm sie Essen und Kleidung, wie konnte sie dieses Land ohne einen Cent in der Tasche überhaupt erreichen?
    Plötzlich tauchte dicht vor ihren Augen ein zerzauster, dunkelbrauner Haarschopf auf. Miriam erschrak so sehr, dass sie leise aufschrie und den Gummischieber fallen ließ.
    „Hi!“, begrüßte sie eine helle Stimme. Miriams Herz klopfte wild. Sie hatte ganz vergessen, dass Fremde auf dem weitläufigen Anwesen waren; Handwerker, die damit beauftragt waren, die verschmutzte Fassade neu zu streichen. Vor ein paar Tagen hatte sie dabei zugesehen, wie die Männer ein Gerüst an der Südwand dieses Flügels aufgerichtet hatten.
    Ängstlich und zugleich neugierig betrachtete sie den Jungen, der da aus dem Nichts aufgetaucht war. Kein Junge, eher ein junger Mann von etwa zwanzig Jahren – so alt wie Miriam. Er trug eine weiße Latzhose, die über und über mit bunten Farbklecksen übersät war, und ein dunkelblaues T-Shirt. Die nackten Arme und das fein geschnittene Gesicht waren sonnengebräunt. Seine Zähne bearbeiteten einen Kaugummi, und mit schief gelegtem Kopf musterte er sie neugierig.
    „Hi!“, sagte er noch einmal. „Ich bin Andi!“
    „Ha-hallo“, antwortete Miriam nervös. Sie streckte den Kopf aus dem Fenster und hielt Ausschau nach dem Gummischieber. Er lag einen Meter unter ihr auf dem Gerüst. Andi bückte sich, hob ihn auf und reichte ihn ihr.
    „Danke.“ Sie nahm den Schieber so hastig entgegen, als befürchtete sie, sich mit einer schrecklichen Krankheit anzustecken. Miriam holte das Fensterleder aus dem Eimer und begann die Scheibe abzuwaschen. Sie kam sich vor wie eine graue Maus in ihrem sackartigen Kleid, der fleckigen Schürze und den klobigen schwarzen Schuhen.
    „Lebst du hier?“, fragte Andi. Miriam warf ihm einen scheuen Blick zu und nickte. „Ganz schön öde hier auf dem Land, was?“, fragte er. „Ne Disko habt ihr hier wahrscheinlich nicht gerade.“
    Miriams Gedanken überschlugen sich. Ohne Vorwarnung bot sich ihr die Chance, einen Teil der Welt kennen zu lernen, der ihr bisher verborgen geblieben war, und nun stellte sie fest, dass sie nichts als Angst empfand. Selbst das freundliche Lächeln des Jungen ängstigte sie. Angst war das einzige starke Gefühl, dass hinter diesen Mauern erlaubt war. Sie beeilte sich, mit dem Fenster fertig zu werden und wusstezugleich, dass sie es bereuen würde, nicht mit ihm gesprochen zu haben. Sie schielte nach dem kleinen Kopfhörer auf seinen Ohren. Andy bemerkte ihren Blick. Er nahm den Bügel ab und reichte ihn ihr. „Willst du mal reinhören?“
    Zögernd nahm sie den Kopfhörer in die Hand, setzte ihn auf und riss überrascht die Augen auf. Miriam hatte das Gefühl, unmittelbar in eine riesige Konzerthalle versetzt worden zu sein. Die Klarheit und Weite der Musik in ihren Ohren war unbeschreiblich.
    „Das ist Pink!“, sagte Andi Kaugummi kauend.
    Miriam hörte seine Stimme nur undeutlich. Einen Moment lang glaubte sie, die Musik entstünde direkt in ihrem Kopf. Die Stimme der Sängerin, die Melodie und der Rhythmus heizten ihr Blut auf. Sie lachte hell auf und hörte dabei ihre eigene Stimme nicht.
    Miriam nahm den Hörer wieder ab.
    „Kling gut, was?“, meinte Andi.
    Sie nickte. „Was ist das für ein Ding?“ Kaum hatte sie die Frage ausgesprochen, als sie sich schrecklich dumm vorkam. Zum ersten Mal begann sie zu ahnen, was sie alles verpasst hatte, weil sie ihre Tage und Nächte in der Sekte der Johannesjünger verbracht hatte.
    Andi sah sie einen Moment komisch an, aber dann schien er zu begreifen, dass sie überhaupt keine Ahnung von der wahren Welt hatte.
    „Das ist mein neues Handy“, erklärte er und griff nach dem flachen schwarzen Kasten, den er mit einer Klammer an den Trägern seiner Latzhose befestigt hatte. Er zeigte ihr das Gerät, das nicht größer als eine Zigarettenschachtel war. „Damit kannst du telefonieren, im Internet surfen, Musikhören, Bücher lesen und Fenster putzen“, sagte er augenzwinkernd.
    „Fenster putzen“, wiederholte Miriam lahm.
    „He, das war nur Spaß.“ Er hielt ihr das Gerät hin. Miriam nahm es in die Hand und studierte die bunten Icons auf dem Display und die winzigen Schalter. Eine tiefe Traurigkeit überkam sie, weil sie keine Ahnung hatte, was sie mit dem Ding

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