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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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wollte, und ich verstand, warum ihm das so wichtig war. »Du meinst … sie haben mich auch verzaubert, wie den Kutscher und die Zimmermädchen und Lucy und die Köchin und alle anderen?« Und ich hatte nichts davon gemerkt … Wütend war ich ohnehin schon, aber in diesem Moment verlagerte sich mein Zorn wieder von Alan auf Rufus, Violet, Blanche – ich wusste nicht, wer von ihnen das gewesen war, aber wenn ich es herausfand –
    »Nein«, sagte Alan, und seine Stimme war bitter. »Das heißt, du bist auch eine Fee.«
    Ich verstand ihn nicht. Wenn sich eine Fee meines Körpers bemächtigt hatte und versuchte, meinen Willen zu brechen, meine Seele beiseitezuschieben … »Das wüsste ich doch!«, sagte ich verwirrt. »Ich bin immer noch ich, das weiß ich wohl!«
    »Du bist eine Fee«, sagte Alan dumpf. »Du, Florence. Du. Habe ich dir nicht gesagt, sie würden versuchen, dich zu einer von ihnen zu machen? Das haben sie getan. Als ich dich das letzte Mal getroffen habe, warst du noch ein Mensch. Jetzt nicht mehr. Du bist eine Fee. Und ich«, jetzt wurde seine Stimme noch leiser, und traurig, »ich bin ein Feenjäger.«
    Ich war froh, als Alan wieder fort war. Ich wusste nichts mehr, was ich ihm hätte sagen sollen. Während es um mich herum dunkel wurde, stand ich vor dem Spiegel und starrte das Mädchen an, das mich aus dem halbblinden Glas anblickte. Es sah aus wie ich. Ich hätte schwören können, dass es ich war. Ich sah so aus wie immer. Nichts an mir war irgendwie feenhaft. Ich war nicht schöner, bleicher, edler, als ich es mein ganzes Leben über gewesen war. Und meine Augen – das, was Rufus und die anderen aus seiner » Familie « immer verriet als jemanden, der eigentlich kein Mensch sein konnte – hatten nichts von ihrer braunen Gewöhnlichkeit verloren.
    Und doch, ich glaubte, dass Alan die Wahrheit sagte. Er kannte sich mit Feen aus. Wenn die Feen seine Gegner waren und er mir eben noch gesagt hatte, dass er mich mochte, würde er mich nicht einfach eine Fee nennen, nur um mich zu ärgern. Warum sollte er sich selbst das Leben schwieriger machen? Und ich wusste, etwas war mit mir passiert, als mir Blanche den Feenstaub ins Gesicht geblasen hatte. Das Erwachen. Rufus hatte mir nie erklärt, was er damit meinte. Vielleicht rechnete er damit, dass ich es früh genug selbst herausfinden würde. Jetzt ergab vieles, was er gesagt hatte, einen Sinn.
    Ich schüttelte den Kopf. Eigentlich sollte ich mich freuen – mein Leben lang war ich ein Niemand gewesen, ein Mädchen ohne Familie, Vergangenheit, Identität. Wenn ich nun eine Fee war, machte mich das zu etwas. Zu einem Jemand. Aber es war nicht das, was ich sein wollte. Alan teilte die Welt ein in » uns « und » sie « . Ich wollte nicht » sie « sein. Nicht, weil ich wollte, dass Alan mich mochte, weil ich nicht seine Gegnerin sein wollte – ich war ihm immer noch böse, dass er mich benutzt hatte –, aber weil ich nicht in einem Atemzug mit den Molyneux’ genannt werden wollte. Ich wollte nicht so sein wie sie und nicht das, was sie waren. Aber in diesem Moment waren sie die Einzigen, die mir meine Fragen beantworten konnten.
    Draußen wurde es Nacht, aber wenn ich Glück hatte, waren sie noch wach. Ich wusste wenig über das, was sie den ganzen Tag lang trieben, ob sie nachts schlafen mussten … Sie schienen auf Essen verzichten zu können, und wer wusste, ob sie das Wasserklosett nicht nur hatten, um zu erklären, warum ihre Nachttöpfe immer leer waren. Das hieß, sie konnten ebenso gut noch auf sein. Ich erhob mich, und da mein Kleid noch nass war vom Regen, holte ich mir ein sauberes aus dem Schrank – es gehörte zum Zauber des Hauses, dass immer, wenn ich es wirklich brauchte, ein frisches Kleid dort hing, aber ich würde mich darüber ganz sicher nicht beschweren. Frisch angekleidet, machte ich mich auf die Suche nach den Feen. Und ich fing dort an, wo die Chance, auf Rufus zu treffen, am größten war: in der Bibliothek.
    Wie meistens hatte ich Glück. Ich hatte keine Ahnung, welches der Zimmer im ersten Stock seines war, aber er schien es sich in der Bibliothek häuslich eingerichtet zu haben. Ich nahm die richtige Tür, nicht das Regal: Wenn das, was Alan gesagt hatte, stimmte, dann war ich jetzt auch wichtig genug, um den Haupteingang zu benutzen und nicht mehr nur die Dienstbotentür.
    »Sie hätten es mir sagen können«, sagte ich statt einer Begrüßung, als Rufus von seiner Zeitung aufblickte. Ich wollte nicht wissen, ob er

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