Das Puppenzimmer - Roman
schon wieder die Todesanzeigen studierte, um die jungen, schönen Toten zu finden, die als Körper für Feen geeignet waren – ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie in ein altes schrumpeliges Weiblein einziehen wollten, solange junge Mädchen ins Wasser gingen, an der Schwindsucht starben oder wie auch immer die frühere Besitzerin von Blanches Körper ihr Leben gelassen hatte.
»Was sagen?«, fragte Rufus ruhig, aber er schien nicht erstaunt oder verärgert, dass ich so spät am Abend kam, um ihn zu stören.
»Dass ich eine Fee bin«, sagte ich, und jetzt, da ich es zum ersten Mal aussprach, fühlte es sich fast an wie etwas, das ich glaubte.
Rufus lächelte. »Ich wusste, früher oder später würdest du es selbst herausfinden«, sagte er, als wäre es die größte Selbstverständlichkeit. »Glaub mir, es hätte dir nur geschadet, es zu früh erfahren. Du hättest mir nicht glauben wollen, und ich sehe wenig Sinn darin, dich unnötig zu verwirren. Du nimmst die Dinge ohnehin schon schwer genug.«
»Aber Sie geben es zu«, sagte ich, und ohne eine Einladung abzuwarten, setzte ich mich in den anderen Lesesessel. Und da ich schon einmal dabei war, meine neuen Grenzen auszutesten, zog ich mir auch noch einen Fußschemel heran und legte die Beine darauf. »Dass ich eine Fee bin, meine ich.«
»Warum sollte ich es abstreiten?« Rufus blickte auf seine Zeitung und schüttelte den Kopf. »Jetzt weißt du es, und du hast Laut gegeben, dass du es weißt. Möchtest du noch mehr von meiner Zeit vergeuden?«
»Ja«, sagte ich fest. »Ja, das möchte ich. Ich will Antworten. Ich will wissen, wer ich bin. Von mir aus bin ich jetzt eine Fee, aber ich weiß genau, dass ich vor ein paar Wochen noch ein Mensch war, und dass ich eine Seele habe, und dass mein Körper lebendig ist. Also, wenn ich eine Fee bin, was sind dann Sie? Ich weiß, dass wir nicht das Gleiche sind.« Ich hoffte so sehr, dass ich damit recht hatte, dass er das jetzt nicht abstreiten würde …
»Wir sind niemals das Gleiche«, antwortete Rufus kalt. »Ich, Violet, Blanche, wir sind Wahre Feen. Wir wissen, wer und was wir sind, und wir sind stolz darauf. Du bist etwas, das den Namen Fee kaum noch verdient. Eine verlorene Fee. Eine, die vergessen hat, was es heißt, Fee zu sein, die ihren wahren Namen nicht kennt – ein bedauernswertes Geschöpf, sicherlich mehr als ein Mensch, aber doch etwas, das nicht mit uns in einem Satz genannt gehört.«
»Warum?«, fragte ich. »Wie kommt die Fee in meinen Körper? Ich habe sie nicht eingeladen, so viel steht fest.«
Rufus lachte leise amüsiert. »Es ist dein Körper, den kann dir niemand wegnehmen. Du bist in ihn hineingeboren worden. Bis zu deinem Erwachen bist du gealtert wie ein Mensch, musstest schlafen und essen, jeder Zoll ein Sklave deines sterblichen Leibes. Es gibt nicht gerade viele wie dich, zum Glück. Als die Welten gespalten wurden, gab es ein paar Feen, dumme, uneinsichtige Geschöpfe, die nicht gehen wollten. Als sie begriffen, dass sie in der Menschenwelt nicht existieren konnten, war der Weg in die Heimat für sie schon verschlossen. Sie mussten bleiben, doch ihre Feenkörper vergingen in Anwesenheit des Eisens und der wachsenden Banalität. So verschwanden sie, doch das an ihnen, was sie zu Feen machte, ist unsterblich. Weil sie die Menschen so sehr liebten, dass sie nicht ohne sie sein konnten, geschah etwas mit ihnen, das für eine Wahre Fee nur eine Strafe sein kann: Sie wurden als Menschen wiedergeboren, lebten und starben, die meisten von ihnen, ohne jemals zu begreifen, was sie in Wirklichkeit waren. Du kannst uns dankbar sein, dass wir dich gefunden haben, dass wir es dir ermöglicht haben, zu erwachen – das ist mehr, als die meisten deiner Art jemals erleben dürfen. Bist du hier, um dich zu bedanken?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte ich. »Ich denke, dass Sie sich bei mir bedanken sollten, was das angeht. Wenn Sie mich nicht hätten, säßen Sie jetzt auf Miss Lavenders wundersamer Puppensammlung und könnten nichts mit ihr anfangen. Ich kann etwas, das Sie nicht können. Ich sehe die Seelen der Puppen, Sie nicht. Und jetzt, wo ich weiß, was ich bin, denke ich, dass ich etwas besser behandelt werden sollte.«
»So«, sagte Rufus langsam, »denkst du? Ist dir nicht aufgefallen, dass du es deutlich besser hast als die Dienstboten? Du musst nicht arbeiten, du trägst schöne Kleider, du speist an unserer Tafel – wirklich, es gibt nichts, worüber du dich beklagen
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