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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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und Violet mir erklärt hatten, begriffen hatte, aber er sollte nicht den Fehler machen, mich für ein dummes Simpelchen zu halten. »Das, was sie machen, ist schrecklich, aber sie haben keine große Wahl, wenn sie hier überleben wollen.«
    Alan lachte bitter. »Das haben sie dir fein eingetrichtert, was?«
    Ich fühlte mich erbleichen. »Stimmt es denn nicht?« Wenn sie mich belogen hatten, schon wieder, wie sollte ich dann jemals wissen, was ich glauben durfte und was nicht? Das war nicht wie die Dinge, die man in der Schule lernte, wie das Einmaleins, bei dem es immer eine richtige Lösung gab und jeder es in der Hand hatte, sie sich selbst auszurechnen.
    »Oh, es stimmt schon, keine Sorge«, sagte Alan. »Aber es ist nicht die ganze Wahrheit; sie drehen sich die Dinge so zurecht, wie sie es gerade brauchen.« Er ließ mir keine Zeit zu fragen, warum ausgerechnet er sich besser auskennen sollte mit den Feen als die Feen selbst. »Sie haben einen Keil zwischen die Welten getrieben und sich ganz in ihr eigenes Reich zurückgezogen, und wir dachten schon, wir wären die Feen ein und für alle Mal los. Aber dann haben sie gemerkt, dass sie ohne die Menschen nicht leben können. Mit den Feen aus der Welt und all dieser neumodischen Technik, die nicht mehr aufzuhalten ist, Dampfmaschinen, Eisenbahnen, Automobile, Luftschiffe, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Leute das Feenvolk ein und für alle Mal vergessen. Und das hat nichts damit zu tun, dass die Menschen dann nicht mehr träumen würden. Sie träumen weiter, nur eben von anderen Dingen. Aber die Feen sind auf diese Träume angewiesen, und auf Menschen, die an sie glauben – auf alte Frauen, die in Vollmondnächten ein Schälchen Milch vor die Tür stellen, nicht für die Katzen, sondern für die Feen. Und auch auf Menschen, die sich ein eisernes Hufeisen über die Tür hängen, weil sie wissen, dass es die Feen draußen hält. Da kommen sie wieder angekrochen, um sich die Träume zurückzuholen. Du musst nicht glauben, dass das auch nur für Sixpence etwas mit Menschenliebe und Fürsorglichkeit zu tun hat. Wenn du dich ein bisschen mit Feen auskennst, weißt du, dass sie für Güte und Nettigkeit noch nie etwas übrighatten. Wir Menschen sind für sie nichts Besseres als Tiere, die man arbeiten lässt oder die man auf die Schlachtbank führt.«
    Ich starrte ihn nur an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Mit einer Hand zog ich die Bettdecke wieder bis unters Kinn. Wirklich, ich wollte nicht die Seite der Feen einnehmen und mich gegen Alan stellen, aber ich fühlte doch, irgendwo tief in meinem Inneren, dass am Ende beide recht hatten, auch wenn das eigentlich nicht möglich war. Am Ende sagte ich das Dämlichste, was mir in dem Moment einfallen konnte: »Du magst keine Feen.« Konnte ich ihm das verdenken? Eigentlich mochte ich sie doch selbst auch nicht …
    Alan nickte. »Es ist eine lange Geschichte.« Danach schwieg er, aber es war zu spät, ich musste einfach nachfragen.
    »Haben sie dir etwas getan?« Wenn ich mir vorstellte, dass vielleicht Rufus auf der Suche nach einem perfekten Körper jemanden genommen hatte, der Alan nahestand – oder wenn eine Fee versucht hatte, sich Alans Körpers zu bemächtigen, während er noch darin steckte … Aber er schüttelte den Kopf.
    »Nein, ich sagte doch, es ist eine lange Geschichte – wirklich lang.« Er seufzte. »Jetzt hab ich angefangen, da muss ich sie auch zu Ende erzählen, nicht wahr?« Er sah mich nicken und setzte sich zu mir auf die Bettkante. »Hast du schon mal von Tam Lin gehört?«
    Ich schüttelte den Kopf. Den Namen kannte ich, er stammte aus einem alten Märchen, aber die Gedanken schwirrten mir so wild durcheinander, dass mir die Geschichte dazu nicht mehr einfallen wollte. Alan schien mir das nicht übelzunehmen, jedenfalls lachte er mich nicht aus, sondern fing an zu erzählen.
    »Das ist Hunderte von Jahren her. Tam Lin war ein Mensch, ein Ritter, und die Feenkönigin hat ihn entführt. Erst tat sie so, als wäre sie seine Geliebte, aber dann fand er heraus, dass sie vorhatte, ihn zu opfern. Also, wirklich opfern. Die Menschen waren damals weniger zimperlich, und die Feen auch. Heute reagieren sie immer noch empfindlich auf alles, was mit Religion zu tun hat, aber damals … damals waren sie geradewegs mit dem Teufel im Bunde. Jedenfalls, Tam Lin musste fliehen, und er wusste, dass ihm das nicht allein gelingen würde. Aber wenn sich eine Sterbliche, eine menschliche Maid, in

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