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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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andere kann mir gleich sein. Es ist deine Sache.« Er nickte. »Wenn du möchtest, darfst du dich entfernen. Aber eine Sache noch: Die Königin freut sich über die Seide. Gut gemacht.«
    Es war ein Lob, das ich nicht mehr hören wollte. Ich war aus dem Zimmer, bevor er es sich anders überlegen konnte. Aber ich versuchte nicht weiter, zu Alan zu gelangen. Nicht, weil ich es aufgegeben hatte, mit ihm reden zu wollen, aber weil ich es nicht riskieren wollte, noch einmal eine Fee fast zu seinem Unterschlupf zu führen. Ich konnte froh sein, wenn Rufus keinen Verdacht geschöpft hatte … Aber dann wiederum war es mir egal, was Rufus dachte. Zumindest über mich.
    Ich weiß nicht, wie ich den Rest des Tages herumbrachte, aber irgendwie muss ich es wohl geschafft haben. Wenn ich versuchte, zur Ruhe zu kommen, begannen meine Hände zu zittern, und ich hörte wieder diesen entsetzlichen Schrei. Warum hatte ich mich nicht gegen Rufus’ Befehl gewehrt? Warum hatte ich einfach weitergemacht? Ich wusste, dass meine menschliche Seite mein Bewusstsein kontrollierte, und ich war froh darum – warum hatte ich meine Feenseite dann einfach gewähren lassen? Ich verstand mich nicht mehr. Und sosehr ich auch versuchte, Rufus’ Stimme aus meinem Verstand zu verbannen, hatte ich doch immerzu sein Angebot im Hinterkopf.
    Machte ich mir vielleicht nur etwas vor? Ob es mir gefiel oder nicht, ich war eine Fee mit allem, was dazugehörte, und wenn es zehnmal ein kaltes Herz war. Ich hatte nie davor weglaufen können, ein Waisenmädchen zu sein und keine Seiltänzerin – war es mit dem Feesein nicht genauso? Ich klammerte mich an etwas, das vielleicht nur noch in meiner Einbildung existierte, und wäre es nicht anders viel einfacher gewesen? Was hatte ich zu verlieren? Ein Schluck Feenwein, und alles war so, wie es sein sollte …
    Aber es war nicht der Feenwein, nach dem ich mich sehnte, ich hätte auch jeden anderen Wein genommen. Ich wollte betrunken sein, und das nicht nur ein bisschen wie an dem Tag, als ich mit Alan gepicknickt hatte, sondern ganz und gar, wie die Landstreicher, die ich manchmal auf der Straße gesehen hatte oder im Park, die in tiefer Bewusstlosigkeit lagen und keinen anderen Sinn mehr zu erfüllen schienen, als ein mahnendes Beispiel für junge Mädchen darzustellen, eine Warnung, was mit denen geschah, die vom rechten Weg abkamen und den Glauben an den Herrn verloren. Sie waren jenseits von Gut und Böse, von Schuld und Unschuld, und wenn sie aus ihrem Rausch erwachten, hatten sie alles vergessen, was geschehen war – das war es, was ich wollte. Nicht mich selbst vergessen, wie Rufus es von mir verlangte, aber alles andere.
    Ich schüttelte den Kopf. Es würde zu nichts führen, und auch wenn ich mir sicher war, dass mir Blanche sogar geholfen hätte, an Alkohol zu kommen, war es nicht das, was ich eigentlich wollte. Mehrmals versuchte ich, zu beten, nach Vergebung zu flehen für das, was ich getan hatte, aber ich konnte es nicht mehr. Ich wusste noch, wie ich versucht hatte, für die arme Seele zu beten, aber jetzt konnte ich mich nicht einmal mehr an die einfachsten Worte erinnern – ich wusste, dass man betete, aber nicht mehr, wie. Nicht, weil ich gesündigt hatte, aber weil Gott mich nicht mehr haben wollte. Er war kein Gott für Feen. Ich sollte es aufgeben. Und dass ich, als ich irgendwann in meinem Bett lag und mir vor schierer Erschöpfung doch die Augen zufielen, nur noch schlimmere Träume erleben sollte als beim letzten Mal, hatte ich nur verdient.
    Mein Traum, wenn es denn einer war, führte mich zurück zu der jungen Frau, die ihr Baby bei einer anderen in Pflege gegeben hatte. Ich weiß nicht, warum ich wieder von diesen beiden träumte; sie hatten nichts mit meinem Leben zu tun, und es war nicht mein eigener Traum, aber irgendjemand schien zu wollen, dass ich von dieser Geschichte erfuhr. Die Feen vielleicht? Die Puppen? Oder der Geist der alten Miss Lavender?
    Ich wusste nicht, wie viel Zeit im Leben der Frauen vergangen war, aber die Szenerie hatte sich völlig gewandelt, und als ich am Ende erwachte, war ich froh darum. Ich weinte, aber meine Tränen waren nicht mehr aus Eifersucht auf dieses wohlbehütete kleine Mädchen, das es so gut haben durfte, wo ich leiden musste. Diesmal war es genau umgekehrt.
    »Warum lassen Sie sie mich denn nicht sehen?«, flehte Miss Marmon. »Ich will doch nur wissen, dass es meiner Tochter gutgeht!«
    »Sie schläft gerade«, sagte Mrs. Harding. »Ich will sie

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