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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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nahm ich die Dienstbotentür, was inzwischen das Letzte war, das ich mit diesen Leuten teilte. Ich war froh, wenn ich keinem von ihnen über den Weg lief, und auch in die Küche hätten mich keine zehn Pferde mehr bekommen. Allein daran zu denken, was die Feen aus Lucy gemacht hatten, machte mich traurig und zornig zugleich – ich durfte nicht vergessen, dass es nicht nur die Seelen in den Puppen waren, die es zu retten galt. Das Personal, vor kurzer Zeit noch richtige lebendige Menschen mit eigenem Kopf und eigenen Träumen, sollte doch bestimmt noch einfacher zu befreien sein als die armen Seelen, die ohne die rettende Verpuppung einfach gestorben wären. Trotzdem: Im Moment waren es die Puppen, um die ich mich mehr sorgte als um alles andere. Ich wollte Lucy sicher keine Vorwürfe machen, aber hätte sie sich nicht gegen die Verzauberung wehren können? Die Puppen hatten nie eine Wahl gehabt.
    Ich lief durch den Garten, nicht ohne mich immer wieder umzusehen und zu lauschen, ob ich etwa doch verfolgt wurde – von Rufus, oder auch Alan. Solange er nicht die Pflanzen aus seinem Schuh nahm, war er auch für mich unsichtbar, und wenn er da war und mich wieder beobachtete, was sollte ich tun? Ich durfte nicht seinen Namen rufen, jeder würde dann auf mich aufmerksam werden, und Alan und ich steckten beide in Schwierigkeiten. Also versuchte ich es erst einmal an Orten, wo wir uns schon früher getroffen hatten, angefangen mit der Kapelle. Sie war für mich der sicherste Ort von Hollyhock, denn auch wenn sie versperrt war, machten die Feen immer noch einen Bogen um sie, und ich wagte es nicht, sie auch nur auf die Existenz des Gebäudes anzusprechen. Mir machte sie nichts aus, und selbst wenn ich Alan dort nicht antreffen würde, nicht hineingehen konnte und auch kein Priester da war, konnte ich doch zumindest versuchen, an ihrem Tor meine Seele zu erleichtern. Wenn ich der Heiligkeit dieses Ortes ganz nah war, würden mir die richtigen Wörter schon wieder einfallen …
    Niemand war zu sehen, als ich das zugewucherte kleine Gebäude erreichte. Was für Wunder der Gärtner auch mit dem Rest des Hollyhock-Parks angestellt haben mochte – und die Spuren seiner Arbeit waren jetzt überall zu sehen –, das direkte Umland der Kapelle schien für ihn tabu zu sein. Hier war niemand gewesen, seit ich die Brombeeren gepflückt hatte, und auch davor lange Zeit nicht. Aber dieses Mal interessierten mich die Beeren nicht. Ich ging zur Tür, rüttelte wieder an den schwarz angelaufenen Ketten, und als es wirklich kein Hineinkommen gab, ging ich auf die Knie, meine Augen auf das Holz gerichtet, faltete meine Hände, so wie man es mich einmal gelehrt hatte, und versuchte, ein letztes Mal zu beten. Es ging nicht. Mir fiel nicht einmal mehr ein, mit welchen Worten man den Herrn anrufen sollte, und so verzichtete ich auf alles außer dem Knien und den gefalteten Händen, verharrte eine Zeitlang so und hoffte, dass Gott schon irgendwie wissen würde, was ich meinte und was ich von ihm wollte.
    Aber Gott antwortete nicht, und Alan würde ich so auch nicht finden … Endlich kam mir der Gedanke, dass ich mich doch auch unsichtbar machen konnte und dann direkt ins Kutschenhaus spazieren, unter den verzauberten Augen von Mr. Hodge- oder Dodgeson, ohne dass er das jemals erfahren würde. Vergissmeinnicht und Johanniskraut – das war ein Problem. Bei Vergissmeinnicht wusste ich, wie sie aussahen, und ich war mir sicher, solche Blumen schon in Hollyhock gesehen zu haben. Aber Johanniskraut? Das würde ich noch nicht einmal erkennen, wenn es kam und mich in den Hintern biss. Ich hätte ins Haus zurückgehen müssen, in der Bibliothek in einem Pflanzenbuch nachschlagen und dann hoffen, dass niemand mich dabei erwischte, wie ich mir Pflanzen ansah, die vor Feen schützen sollten. Aber das schien mir in dem Moment zu gefährlich. Das Einfachste war immer noch, Alan um Hilfe zu bitten – und da biss sich die Katze in den Schwanz. Ohne Alan keine Pflanzen, und ohne Pflanzen kein Alan.
    Er konnte überall sein, mir eine lange Nase drehen und sich freuen, dass er es mir heimzahlen konnte, nachdem ich beim letzten Mal so grob zu ihm gewesen war, doch es half nichts, ich musste ihn finden. Wenigstens regnete es gerade nicht, als ich mein verhindertes Gebet beendete, die schmerzenden Knie streckte und dann versuchte, mich im Schatten der Bäume an das Kutscherhaus heranzuarbeiten – dann fühlte ich einen Lufthauch, einen Atemzug an meinem Ohr, und

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