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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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könnten. Ich musste nicht auf meine Feensicht wechseln, um zu wissen, dass die Seelen dahinter immer noch schwarz und von Hass verzehrt waren; ich fühlte es in meinem ganzen Körper, wenn ich sie berührte, und ich trug sie, so behutsam ich konnte, zum Sofa, zum einen, damit sie nicht meine Wunden aufrissen, und zum anderen, weil sie nicht spüren sollten, dass ich eine von ihnen getötet hatte.
    »Keine Angst«, sagte ich. »Ihr seid in Sicherheit. Niemand wird euch etwas antun.« So sicher klang meine Stimme – war ich nicht eine großartige Schauspielerin? Die Wahrheit war doch, ich hatte keine Ahnung, wie ich mein Versprechen halten sollte. Erst einmal musste ich die Lücke füllen, die sie hinterlassen hatten – aber das war einfach. Oben auf der Vitrine hatten drei Puppen zu sitzen, irgendwelche Puppen, die ich dann mit einem erstaunten Lächeln aufnehmen konnte, um dann Rufus anzustrahlen und zu sagen: » Sie haben der Welt verziehen! Ich fühle keinen Hass mehr! Sie sind jetzt wie die anderen! « Und dann, mit unschuldigem Augenaufschlag: » Muss ich aus denen jetzt trotzdem Seide machen, oder sind die Seelen selbst nicht kostbarer für die Königin? « Selbst wenn Rufus mich dann durchschauen würde – und das würde er –, was sollte er tun? Natürlich, er hatte seine Magie, aber dann konnte ich immer noch erklären, dass ich mich wohl geirrt hatte, als ich die Puppen auf den Schrank setzte, dass ich übervorsichtig gewesen war und nur ja nichts hatte falsch machen wollen, aber jetzt mit Sicherheit sagen konnte, dass diese Seelen so rein und weiß waren, wie sie nur irgendwie konnten … Wie sollte Rufus es mir beweisen? Und wie wissen, welche die guten Seelen waren und welches die bitteren? Ich würde vielleicht Ärger bekommen, aber ich würde damit durchkommen. Die Frage war nur: Was passierte in der Zwischenzeit mit den eigentlichen bösen Puppen?
    Ich verbarg die drei erst einmal hinter den großen Kissen des Sofas, aber das war natürlich keine Lösung auf Dauer. Meine erste Idee war, sie in mein eigenes Zimmer zu schmuggeln – das hatte ich mit einer immerhin schon einmal geschafft, und wenn ich mehrmals ging, würde ich auch drei Puppen in mein Zimmer bekommen. Aber dort waren sie nicht in Sicherheit. Ich war nicht in der Lage, mein Zimmer abzuschließen; jeder konnte darin ein und aus gehen – angefangen mit Blanche, die es noch nicht einmal für nötig hielt, anzuklopfen, und die munter in meinen Sachen wühlte, selbst wenn ich nicht da war. Es waren nicht gerade viele Sachen, und sie gehörten mehr dem Zimmer als mir, aber trotzdem. Blanche war die Letzte, der meine Puppen in die Hände fallen durften. Ob in meinem Wäscheschrank oder unter der Matratze – nichts schien mir sicher genug, um dort drei verdammte Puppen vor dem Tod zu bewahren. Und außerdem: Selbst wenn ich ihnen das nicht verraten durfte, wollte ich sie doch auch nicht direkt in meiner Nähe haben. Ihr Hass sickerte durch alles hindurch wie schwarzer Teer, und meine Träume waren auch so schon schlimm genug. Ich musste ein anderes Versteck für sie finden.
    In den Keller konnte ich sie auch nicht bringen, weil dort einer der Dienstboten darüber stolpern konnte, und ich durfte keinem von ihnen mehr trauen, noch nicht einmal mehr Lucy. Ich wollte auch nicht wissen, was passieren würde, wenn einer von ihnen so eine böse Puppe berührte – ich konnte nicht zulassen, dass am Ende Lucy etwas zustieß, und wenn es nur eine Woge von Traurigkeit war, die sie überrollte. Nur weil die Puppen sich von mir anfassen ließen, hieß das nicht, dass jeder andere es auch durfte. Nein, das beste Versteck war immer noch da, wo jeder sie direkt vor der Nase hatte und sie doch nicht sah, vielleicht hinter ein paar Büchern in der Bibliothek … Aber was war, wenn Rufus dann ausgerechnet eines von denen lesen wollte und die Puppe dahinter fand? Das schied also auch aus. Und wenn ich sie vergrub, irgendwo im Herzen des Irrgartens, wo niemand jemals hinkam …? Dann waren sie zwar nicht frei und auch nicht erlöst, aber vielleicht, wenn sie genug Zeit hatten, befreiten sie sich irgendwann von selbst aus den Kokons, und dann wollte ich nicht in ihrem Weg stehen …
    Es hatte alles keinen Sinn. Ich konnte den Puppen nicht alleine helfen. Ich musste sie aus Hollyhock hinausschmuggeln, und ich kannte nur einen, der sich hier noch frei und unbeobachtet bewegen konnte. Ich brauchte Alan.
    Diesmal folgte mir niemand, als ich hinausging. Wie immer

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