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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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Selbst wenn doch – bis zum anderen Tag würde es schon niemand abnehmen. Nur ein Traum. Andere Dinge waren wichtiger. Während ich mich tiefer in mein Bett verkroch und mir die Decken über den Kopf zog, freute ich mich, wie verschwitzt ich war. Also blieb ich zumindest im Schlaf noch ein Mensch. Feen, selbst in lebendigen Körpern, schwitzten nicht. Und es war die Beruhigung, die ich in dieser Vorstellung fand, die mich tatsächlich wieder einschlafen ließ.
    Am nächsten Morgen versuchte die ganze Welt, mich anzulächeln. Angefangen mit der Sonne, die durch meine fadenscheinigen Vorhänge schien, über Mr. Trent, der mir in der Halle über den Weg lief, als ich auf dem Weg zum Frühstückszimmer war, und mir die Tür aufhielt, als wäre ich auch für ihn endlich bei den Herrschaften angekommen. Aber das breiteste und süßeste Lächeln hielt Violet für mich bereit, die von ihrem Sofa aufstand und es sich nicht nehmen ließ, mich höchstpersönlich zu umarmen.
    »Florence, Liebes«, sagte sie mit ihrer Sirupstimme und klang für mich doch immer noch wie etwas, an dem eher die Fliegen kleben bleiben würden als ich. »Ich bin so stolz auf dich. Was du gestern geschafft hast –«
    Ich entwand mich ihrer Umarmung. »Sparen Sie sich das«, sagte ich. »Ich habe es getan, weil Ihr Bruder mich dazu gezwungen hat, und ich werde es nicht noch einmal tun, egal, was Sie mir dafür bieten.«
    »Ich entsinne mich«, erwiderte Violet, »dass dir mein Bruder bereits etwas Besseres als Geld geboten hat. Etwas Unbezahlbares.« Sie trat einen Schritt zurück, und ihr Lächeln gefror ihr im Gesicht. »Wie du willst«, sagte sie. »In jedem Fall hast du uns einen großen Dienst erwiesen, und wir sind dir dankbar. Eines Tages wirst du dich freuen, dass ich dir einen Gefallen schulde.«
    War sie wirklich die Königin der Feen? Und wer war dann Rufus – wirklich ihr Bruder? Ihr Gatte? Oder lediglich ein Diener, ein persönlicher Sekretär, ein Kanzler? Er schien ihre Geschäfte zu führen, sterbliche wie unsterbliche – nichts, was mich normalerweise verwundert hätte, war es doch üblich, dass der Mann sich um die Geschäfte kümmerte, und doch schien in diesem Fall mehr dahinterzustecken: Wenn Rufus nun von Violet sprach, jetzt, wo die Masken gefallen waren, klang er doch mehr wie ein Untertan denn ein Ebenbürtiger.
    Ich antwortete nicht. Ich wusste, ich musste mich entscheiden, für ein Leben als Fee oder eines als Mensch, aber war das für mich wirklich noch eine Entscheidung? Solange ich eine Wahl hatte, solange sie mich nicht zwangen, nicht mit Gewalt zu einer von ihnen machten, würde ich immer ein Mensch bleiben wollen, und das ahnten sie sicherlich. Wenn ich mich in einer Sache nicht verstellen würde, dann in dieser. Aber wie sie reagierten, wenn ich ihnen erklärte, dass ich Mensch bleiben wollte … ich vermochte es nicht zu sagen. Dafür verstand ich die Feen zu wenig.
    Mein Frühstück aß ich hastig; ich konnte nicht erwarten, wieder wegzukommen, zurück in mein eigenes Reich. So freundlich die Molyneux’ sich jetzt auch geben mochten, ich ertrug ihre Anwesenheit nicht, erinnerten sie mich doch allzu frisch an das, was am Vortag geschehen war. Natürlich, ich war fein heraus, wenn ich den Feen alle Schuld gab und mich aus der Verantwortung stahl. Aber die Frage blieb: Wenn mich Rufus nicht gezwungen hätte, was hätte ich dann getan? Ging ich nicht selbst davon aus, dass ich die Seele schmerzfrei erlösen würde, dass ich das Richtige tat, dass ich ihr den letzten Wunsch erfüllte? Wenn ich das alles in Betracht zog, was blieb dann übrig? Nur die Tatsache, dass es nichts mehr änderte. Ich hatte es getan. Und ich würde es niemals wieder tun.
    Als ich erklärte, mein Frühstück beendet zu haben, und aufstand, heftete sich Blanche an mich, fürsorglich und besitzergreifend wie immer. »Ich komme mit dir«, sagte sie. »Ich kann nicht ertragen, wie unglücklich du aussiehst.« Ich war mir nicht sicher, ob sie meine Gedanken las oder meine Körpersprache, aber leider hatte sie meistens recht mit dem, was sie mir unterstellte – und ja, es ging mir schrecklich, und nein, ihre Gesellschaft war das Letzte, was ich jetzt wollte.
    »Ich will dir ein Geheimnis verraten«, sagte sie, als wir zusammen in ihrem Zimmer saßen, Seite an Seite wie zwei unzertrennliche Freundinnen, während ich nur darauf wartete, dass ihre kurz bemessene Aufmerksamkeitsspanne vorüber war und ich mich wieder aus dem Staub machen konnte. »Ich

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