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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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sie. »Lady Violet«, wiederholte sie. »Ich freue mich, wenn du so große Stücke auf mich hältst, aber das ist nicht mein Titel. Die Molyneux’ sind nicht adelig.«
    »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte ich. Das hätte ich doch wissen müssen! Ein französischer Hausname, und jeder wusste, dass niemand in Frankreich auch nur ansatzweise adelig war, wenn er seinen Kopf behalten wollte. Die beiden sprachen den Namen englisch aus, das hatte mich getäuscht. »Wie soll ich Sie dann anreden?«
    Milady lächelte. »Gar nicht«, sagte sie. »Wir reden dich an. Das hat zu genügen.«
    Ich fühlte mich dämlich. Vermutlich waren die beiden gerade dabei, mich zu prüfen, ehe sie mich in das große Geheimnis einweihen würden, und vermutlich war ich gerade dabei, auf der ganzen Linie zu versagen. Aber was sollte ich auch tun, wenn sie nicht verrieten, was sie von mir erwarteten, außer den Mund zu halten? Wenn die beiden mir keine Anrede nennen wollten, dann würde ich sie eben einfach mit Vornamen ansprechen, zumindest im Geheimen. Rufus und Violet. Das hatten sie jetzt davon.
    Dann nannten sie mich Florence. Ich widersprach nicht. Sollten sie mich nennen, wie sie wollten, es war besser als » Mädchen « , und immerhin hatte der Name etwas Edles. Herrschaften besaßen das Recht, ihren Dienern die Namen zu geben, an die sie gewöhnt waren; man konnte nicht von ihnen verlangen, sich für jedes neue Hausmädchen einen neuen Namen merken zu müssen. Kurz fragte ich mich, ob ich die erste Florence war, und wenn nicht, wie viele Vorgängerinnen ich gehabt haben mochte und was aus ihnen geworden war. Der Name gefiel mir, auch wenn es bedeutete, dass ich nun endgültig hieß wie die Heldin eines Schauerromans.
    »Und jetzt steh auf«, sagte Rufus – kein Mr. Molyneux mehr für mich, und erst recht kein Gentleman, selbst schuld. »Stell dich so, dass wir dich sehen können. Von allen Seiten. Dreh dich, langsam.«
    Ich vermutete, dass sie das Kleid begutachten wollten, und zeigte ihnen das Ersehnte. Florence von vorne, von der Seite, von hinten. Sie sagten nichts zu meinen schwarzen Strümpfen, auch wenn der Rock sehr kurz war und schon knapp unter den Knien endete, wie bei einem kleinen Mädchen. Ich zupfte etwas daran, damit er länger aussah, dann überlegte ich es mir anders – was genierte ich mich, wo ich doch nach einem Beruf strebte, bei dem die ganze Welt unter meinen Rock schauen konnte, die Köpfe weit im Nacken? Also brachte ich das Kleid nur keck in Form, dass der Rock nach den Seiten abstand, als würde ich vier gestärkte Unterröcke darunter tragen.
    »Gut«, sagte Rufus. »Deine Hände, sind die sauber?«
    Ich schüttelte den Kopf. Das hätten sie mich fragen sollen, bevor meine Finger voll Honig klebten. Es gab keine andere Wahl, wollte man die Brötchen nicht mit Messer und Gabel essen.
    »Dann geh und schrubb sie dir«, sagte Rufus. »Du findest heißes Wasser in der Spülküche, ein Dienstmädchen kommt gleich, das dir den Weg zeigt. Deine Hände sollen immer sauber sein, gib darauf acht. Du trägst ein weißes Kleid, damit du gezwungen bist, einen Bogen um jede Art von Staub und Schmutz zu machen. Wenn du dagegen verstößt, werden wir es sofort sehen. Aber nun wasch deine Hände. Wenn du dann wiederkommst und es ist alles zu unserer Zufriedenheit … dann bekommst du das hier.«
    Diesmal war ich auf den Zaubertrick vorbereitet, aber was er jetzt in der Hand hielt und mir zeigte, konnte er ebenso gut in seinem Ärmel aufbewahrt haben. Es war ein Schlüssel, unscheinbar und schwarz, doch bei seinem Anblick fing mein Herz an zu hämmern. Ich wusste nicht, zu welchem Schloss er gehörte. Aber ich wusste, ich musste ihn haben.
    Das Hausmädchen stand plötzlich in der Tür, dabei hatte ich nicht gesehen, wie Rufus oder Violet geläutet hätten. Gut, die Lady – oder was immer sie stattdessen sein mochte – hatte die ganze Zeit über eine Hand auf der Sofalehne liegen, und vielleicht war dort, wo es allemal praktisch war, ein elektrischer Klingelknopf angebracht. Das hätte natürlich bedeutet, dass es hier doch Elektrizität gab: Sonst war davon allerdings nichts zu sehen, nur Kerzenhalter und Kronleuchter, noch nicht einmal Gaslicht … Aber das würde ich schon noch in Erfahrung bringen.
    »Sie haben geläutet?«, fragte das Mädchen leise. Es war nicht Sally, sondern eines der beiden anderen Mädchen, die ich bei meiner Ankunft in der Halle gesehen hatte.
    »Clara«, sagte Rufus, ohne aufzublicken.

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