Das Puppenzimmer - Roman
entgegenlächelte. Erleichtert atmete ich auf.
»Florence«, sagte sie, als wüsste sie genau, weswegen ich gekommen war. »Was hast du mir zu berichten?«
Ich schluckte, plötzlich unsicher, ob ich die Geschichte wirklich erzählen wollte. Aber so, wie Violet immer wieder danach gefragt hatte, ahnte sie sicher längst, was mit den Puppen los war. Vermutlich wusste sie sogar besser Bescheid als ich, und dann konnte sie helfen, meine Wissenslücken zu füllen. »Ich komme wegen der Puppen«, sagte ich mit belegter Stimme. »Sie sagten, wenn etwas passiert … dann soll ich mich melden?«
»Und ist etwas passiert?« Normalerweise sprach Violet mit süßer Stimme, in der Melodie lag, aber keine Gefühle. Jetzt klang sie fast ein wenig erregt. Und immer noch süß.
Ich nickte. »Ich weiß nicht recht, wie ich es beschreiben soll … aber eine von den Puppen fühlt sich merkwürdig an. Und dann …« Plötzlich klang die Vorstellung albern, dennoch fuhr ich fort: »Dann habe ich etwas gehört, als ob jemand lacht. Aber es war niemand da außer mir.« Kurz – sehr kurz – stellte ich mir vor, das Mädchen, das ich im Flur gesehen hatte, wäre nicht aus der Halle gekommen, sondern aus einem Geheimgang, der hinter den Kamin des Puppenzimmers führte, und hätte dort gestanden und gelacht. Aber das ergab keinen Sinn. In der Nacht war ganz sicher niemand außer mir dort gewesen, auch kein Zimmermädchen. Und trotzdem hatte jemand gelacht. Violet nickte. Sie sah zufrieden aus. »Du wirst dich wundern, dass ich das jetzt sage«, erwiderte sie, »aber das ist gut. Es bedeutet, dass einige Gerüchte, die wir über unsere Tante gehört haben, wahr sind, und dass es eine gute Idee war, diesen Raum abzusperren und niemanden hineinzulassen.«
»Aber was bedeutet es?«, fragte ich.
Ein Lächeln war die Antwort. »Wenn ich das wüsste!«, sagte Violet. »Warum zeigst du mir nicht einfach die seltsame Puppe? Vielleicht kannst du mir dabei noch ein bisschen mehr erzählen? Hat sie sich unangenehm angefühlt, vielleicht sogar böse?«
»Ich zeige sie Ihnen gerne«, sagte ich und freute mich, dass ich doch endlich dazu kam, mit meiner Arbeit anzugeben. »Und nein, böse ist das falsche Wort. Es war mehr …« Ich, die ich sonst besser mit Worten umzugehen wusste als viele meiner Waisenschwestern, rang um die Wörter. »… als könne sie es nicht erwarten, meine Freundin zu sein«, sagte ich endlich. »Als ob sie mich lieber hätte als ich sie. Und gleichzeitig ist sie wie etwas, das gleich schlüpfen will.« Wirklich, das klang nicht mehr, als ob ich über eine Puppe redete! Aber Violet glaubte mir und lachte mich nicht aus, selbst als ich an meinen eigenen Sätzen verzweifelte, weil sie so unsinnig klangen, und fast wieder angefangen hätte zu weinen. Die Aussicht, gleich diese Puppe wieder in Händen halten zu müssen …
»Keine Angst, Florence«, sagte Violet. »Dir wird nichts geschehen. Beruhige dich erst einmal. Komm, setz dich zu mir.« Ich sah sie wieder hinter das Sofa greifen; inzwischen wusste ich, dass dort der Draht für die Klingel war. Ohne mich noch lange zu zieren, nahm ich Platz. Ich sehnte mich nach der Wärme des Kamins. Mir war seltsam kalt im Inneren, das musste immer noch der Schreck sein. »Erzähl mir mehr von der Puppe«, sagte die Lady.
Ich leckte mir über die Lippen, aber ehe ich auch nur ein Wort sagen konnte, erschien das Zimmermädchen. Diesmal war es Clara. Wen von den dreien ich im Flur getroffen hatte, konnte ich nicht mehr sagen.
»Ah, Clara«, sagte Violet. »Bring uns ein Glas Cognac, sei so gut.«
»Ja, Milady«, sagte das Mädchen und verschwand wieder, um schneller, als ich nachfragen oder gar protestieren konnte, mit einem Tablett wiederzukommen, darauf zwei bauchige kleine Gläser und eine hübsche Kristallkaraffe, in der eine rotbräunliche Flüssigkeit schimmerte.
»Nur einen kleinen Schluck«, sagte Violet. »Danke.« Sie war anders, jetzt, wo Rufus nicht dabei war, freundlicher zum Personal und aufmerksamer. Es konnte erklären, warum die Haushälterin nur in den höchsten Tönen von ihr sprach; Mrs. Arden hätte das gewiss nicht getan, wenn sich Violet immer nur kalt und herablassend verhalten hätte. Aber als Violet mir dann tatsächlich ein Glas reichte, wusste ich erst nicht, ob ich das annehmen sollte, geschweige denn trinken.
»Ich nehme an, du trinkst sonst keinen Alkohol«, sagte sie. »Ich hoffe es zumindest. Aber das ist nur ein Tropfen gegen den Schreck. Du musst
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