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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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ein Traum sein mochte wie Einbildung, da konnten sie es ja noch versuchen. Aber jetzt, dieses zweite Mal, nach dem, was ich mit der Puppe erlebt hatte … Das war anders. Es kroch mir unter die Haut und streichelte mir direkt über die Knochen. Meine Hände begannen so zu zittern, dass ich die Tür kaum noch aufschließen konnte; sie schwitzten plötzlich, und kaum hatte ich den Schlüssel aus dem Schloss gezogen, fiel er mir auf den Boden und schien mir danach dreimal aus den Fingern zu hüpfen, bis ich ihn endlich wiederhatte. Ich floh aus dem Raum, schmiss die Tür hinter mir zu und konnte dann kaum richtig zusperren. Die Tür vibrierte, und ich wusste nicht, ob das meiner Nervosität geschuldet war, oder weil das, was aus der Puppe hinausdrängte, jetzt auch aus dem Zimmer wollte.
    Ich stand im Flur, drückte den Schlüssel so fest in meine Handfläche, dass er auf der anderen Seite fast wieder herauskam, und zitterte unkontrolliert. Wenn jetzt jemand kam und mich hier fand, er würde zwei und zwei zusammenzählen und wissen, dass ich meine geheimnisvollen Aufgaben hinter dieser Tür verrichtete. Aber das war mir in diesem Moment egal – ich hätte mich sogar gefreut, einen Menschen zu treffen, einen richtigen lebendigen Menschen, mit dem ich reden konnte. Was ich gesehen, gefühlt und gehört hatte, wollte hinaus.
    Langsam versuchte ich, meine Fassung wiederzugewinnen, mich in die Halle zurückzuschleichen, als ich ein Geräusch hörte. Ich zuckte zusammen, dabei kam es nicht von hinter mir, sondern aus dem Flur, von der Tür zur Halle. Geistesgegenwärtig schaffte ich es noch, den Schlüssel in meinem Ärmel verschwinden zu lassen, weil die Zeit nicht mehr fürs Strumpfband reichte, und als dann die Tür aufging und mir eines der Zimmermädchen entgegenkam, gab ich mich ganz gefasst. Ich musste die Lippen zusammenpressen, damit ich nicht mit all dem hinausplatzte, das ich nicht sagen durfte – obwohl das Mädchen mir sicher ohnehin nicht geglaubt hätte –, und schaffte es, an ihr vorbeizugehen, ohne das Gesicht zu verziehen. Doch als ich dann in der Halle stand und mir das Herz immer noch zum Halse hinaus schlug, wusste ich, dass es so nicht weitergehen konnte. Ich musste mit jemandem darüber reden. Alan, das war mein erster Gedanke, Alan würde mir zuhören, mir vielleicht sogar glauben, mich trösten …
    Doch dann siegte mein Verstand, und ich machte mich auf die Suche nach Violet. Gut, Suche war vielleicht zu viel gesagt – ich rechnete damit, Milady in ihrem hübschen kleinen Salon zu finden, in dem wir immer das Frühstück einnahmen. Das war ihr Zimmer. Ich wusste zwar nicht, was man den ganzen Tag darin machen sollte – außer auf dem Sofa sitzen und bezaubernd aussehen, oder im Sesselchen sitzen und aus dem Fenster blicken –, aber vielleicht war auch das der Grund, dass ich keine Lady sein wollte. Falls ich Violet dort nicht fand, konnte sie in der Bibliothek sein. Und wenn sie da auch nicht war? Dann hatte ich ein Problem. Ich kannte zu große Teile von Hollyhock immer noch nicht.
    Als ich mich auf den Weg zum Morgenzimmer machte, fragte ich mich kurz, was das Zimmermädchen auf dem Flur zum Puppenzimmer gesucht hatte. Es gab dort noch eine andere Tür, die von ihrer Lage her eigentlich in die Bibliothek hätte führen müssen, nur dass ich am Vortag darin vor lauter Bücherregalen keine weiteren Türen gesehen hatte. Aber war das Mädchen nicht in Richtung der Puppen gegangen? Wenigstens wusste ich diesmal genau, dass ich abgeschlossen hatte. Todsicher. Es war mir schwer genug gefallen. Ich sollte mich bei Gelegenheit vielleicht auf die Suche nach versteckten Tapetentüren machen. Schließlich hatte ich von außen die beiden Anbauten links und rechts des Haupthauses gesehen, nur wie man dort hineinkommen sollte, das wusste ich noch immer nicht …
    Aber um das herauszufinden, war später noch genug Zeit. Jetzt hatte ich etwas loszuwerden. So stand ich vor der Salontür, nahm mir ein Herz, das immer noch lauter pochte, als es sollte, und klopfte an. Ich wartete einen Moment. Violet würde nicht aufstehen und mir die Tür öffnen, und ich hatte auch noch nie gehört, dass sie » Herein « gesagt hätte. Die Zimmermädchen klopften kurz und traten dann ein, und vermutlich wurde von mir Gleiches erwartet. Bis drei zählen, Klinke drücken – die Tür ging auf, warmes Kerzenlicht schlug mir entgegen, und auf dem Sofa saß die vertraute blassrosa Gestalt Violets, die mir erwartungsfreudig

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