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Das Puppenzimmer - Roman

Das Puppenzimmer - Roman

Titel: Das Puppenzimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Ilisch
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galt.
    Ich saß auf meiner Bettkante und versuchte, langsam zu begreifen, was da um mich herum vorging. So recht glauben konnte ich es immer noch nicht, aber auch wenn ich die Puppe noch dreimal vor den Spiegel hielt – sie wurde davon nicht sichtbarer. Hatte ich Angst? Ich konnte es nicht sagen. Aber ja, vermutlich hatte ich Angst. Einen Moment lang überlegte ich, einfach davonzurennen – weg, und Hollyhock, Violet, Rufus, die Puppen so weit hinter mir lassen wie nur eben möglich. Es war das einzig Richtige, wenn ich meinen Verstand behalten wollte. Falls ich ihn nicht längst verloren hatte. Puppen, die lachten. Puppen ohne Spiegelbild. Und ich mittendrin.
    Aber so einfach Weglaufen auf den ersten Blick auch schien, es half nichts. Es konnte nichts mehr an dem ändern, was ich gesehen und gehört hatte. Egal wo ich hinging, ich würde die Erinnerung daran mit mir nehmen, und sie würde mich heimsuchen in meinen Träumen und Gedanken und überall sonst. Wenn ich blieb, wenn ich das Ganze aufklärte, wenn ich dem Schrecken ein Ende setzte – dann war ich gerettet. Sonst nicht. Ich musste nur vernünftig bleiben, und ruhig.
    War ich in Gefahr? Wenn ich es von allen Seiten betrachtete und dabei gelassen blieb, war ich zwar von unheimlichen und seltsamen Dingen umgeben, doch bis jetzt hatte mir nichts davon etwas zuleide getan. Selbst jene Puppe, die sich so seltsam angefühlt hatte, behielt dabei etwas Freundliches. Und für meine Angst konnten die Puppen nichts, das hatte ich selbst in der Hand. Ich musste mir nur vornehmen, mich nicht mehr zu fürchten. Nichts leichter als das, nicht wahr? Aber wirklich, wenn ich jetzt weglief und nicht versuchte zu begreifen, was in Hollyhock wirklich vorging, würde ich mir das niemals verzeihen.
    Die Puppe lag neben mir auf dem Bett, reglos und unschuldig. Ich widerstand dem Drang, sie aus dem Fenster zu schleudern, und auch dem, sie tief in meinem Kleiderschrank zu vergraben. Ich wollte nicht auffallen, und auch wenn Violet eine Puppe verschwinden lassen konnte, durfte ich mir das nicht erlauben; es konnte und würde herauskommen. Die Puppe musste zurück zu den anderen, auf dem gleichen Weg, wie sie hergekommen war. Und zwar schnell. Ich wollte sie ganz sicher nicht länger in meinem Zimmer behalten.
    Widerstrebend stopfte ich die Puppe zurück in den Hosenbund. Ihre Füße fühlten sich kalt auf meiner Haut an, und ich musste mir immer wieder sagen, dass nichts passieren konnte – nur weil ich jetzt wusste, dass sich die Puppe nicht spiegelte, hieß das nicht, dass irgendetwas anders war als vorher. Wenn ich einen Taschenspiegel gehabt hätte, den ich in das Zimmer hätte schmuggeln können, um mir alle anderen Puppen auch noch anzusehen, hätte ich meinen Verdacht bestätigen können. Aber ich hatte nichts in der Art. Selbst eine Dose Zinksalbe hätte mir schon weitergeholfen, weil man sich im Deckel spiegeln konnte, aber es war keine da. Wenn ich Mrs. Arden nach Zinksalbe fragte, war das sicher unauffälliger als nach einem Taschenspiegel, aber so wichtig war es mir nicht, zu beweisen, was ich sowieso schon tief in meinem Inneren wusste.
    Diesmal musste Violet nicht erfahren, was ich herausgefunden hatte. Sie wusste das alles schon, so viel stand fest, und Rufus auch. Wenn ich in dieser Geschichte die verfolgte Unschuld war, mussten sie meine Schurken sein, und wenn sie ahnten, dass ich zu viel wusste … Dann, endlich, geriet ich wirklich in Gefahr. Also kein Wort mehr zu Violet über die Puppen. Und zu Rufus erst recht nicht.
    Mit der Puppe unter dem Kleid wie eine schwere Bürde machte ich mich auf den Weg nach unten. Wenn ich das mit der Zinksalbendose doch noch versuchen wollte, konnte mir vielleicht Lucy weiterhelfen, sie hatte immer ihre Hände in irgendeiner Scheuerlauge und konnte so eine Salbe dringend brauchen – aber eines nach dem anderen. Erst die Puppe loswerden und hoffen, dass ich dabei niemandem über den Weg lief. Doch all das Glück, das ich auf dem Weg nach oben gehabt hatte, musste in der Zwischenzeit ausgelaufen sein. Ich war gerade im ersten Stock angekommen, als ich ausgerechnet in Alan hineinrannte – wenn ich einen dort oben nicht erwartet hätte, dann ihn. Ich versuchte noch, unauffällig an ihm vorbeizuhuschen, aber natürlich hatte er mich gesehen, und anders als die Zimmermädchen ignorierte er mich auch nicht einfach.
    »He, Florence!« Seine Stimme blieb leise; es gehörte sich nicht für Dienstboten, auf dem Flur, wo die Herrschaften

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